Das geheime Leben des László Graf Dracula
unauffindbar. Als ich mich über ihr Gesicht beugte, um die Wunde zu untersuchen, erkannte ich deutlich, daß die kurze Ekstase jener Bluttat niemals gesühnt werden konnte, daß ihr Preis niemals mehr zu rechtfertigen war. Doch nein, er wollte sich nicht zeigen, der Mörder, sosehr der beraubte Liebhaber sich auch danach sehnte, ihm gegenüberzutreten. Er war ebensowenig zu sehen, wie man den eigenen Hinterkopf im Spiegel zu sehen vermag, auch wenn man sich noch so schnell hin und her dreht. Er hatte sie aus einer spontanen Anwandlung heraus getötet, kaum zwingender als eine flüchtige Laune – ein leichtfertiger, frivoler Akt, den ich nicht länger verstand. Welch ein menschliches, wahrhaft veredelndes Gefühl die Trauer ist – und wie tragisch und nutzlos, da sie stets, unvermeidlich, zu spät kommt!
Ich wandte mich zu Kraus um und sagte: »Der Schnitt verläuft von links nach rechts, rund um den Hals. Daraus schließe ich, daß der Mörder Rechtshänder war und hinter ihr stand. Da die Wunde schräg nach oben weist, kann man davon ausgehen, daß die Person, die ihre Kehle durchgeschnitten hat, beträchtlich größer war als die Verstorbene.«
Als ich mich von Inspektor Kraus am Haus der Theissens verabschiedete, schlug er gleich den Weg zum Bahnhof ein, um nach Kolozsvar zurückzukehren. Er muß einen vorläufigen Bericht abfassen, aber es gelang mir nicht, viel über dessen Inhalt zu erfahren, und ich hielt es alles in allem für ratsam, ihm nicht den Sachsen als Verdächtigen aufzudrängen. Ich bin ganz sicher, daß er nach und nach selbst zu diesem Schluß kommen wird, und es wirkt weitaus überzeugender, wenn er ohne meine Einflußnahme zu dieser Ansicht gelangt.
Ich kehrte zum Fluß zurück. Keiner der Polizisten, die Kraus dort anfangs postiert hatte, war von der Brücke aus zu sehen; also war die Beweisaufnahme am Tatort wohl abgeschlossen.
Ich nahm die linke Gabelung weg von dem Fluß und kam zu der Stelle, wo unsere kleinfüßige Zeugin im Unterholz gehockt haben mußte. Als ich weiterging, wurde der Pfad immer überwachsener, bis er in einen anderen einmündete, der um den Rand der Weide herumführte. Ich war wieder auf meinem eigenen Land und auf bekanntem Territorium. Bald erreichte ich eine große Föhrenschonung, die mein Großvater angepflanzt hatte und die an die Straße zum Schloß angrenzte.
In der Schonung suchte ich nach Anzeichen dafür, daß dort ein Pferd angebunden gewesen war, da die Wege um die Weide und am Fluß zu schmal waren, um einen Reiter durchzulassen, und tatsächlich entdeckte ich einen Haufen frischer Pferdeäpfel. Die Reiterin hatte ihr Pferd an einen Schößling zwischen den Föhrenstämmen festgebunden, wo ein paar Grasbüschel wuchsen.
Dort gab es aber auch einen Flecken Boden, der frei war von den elastischen, spurenabweisenden Föhrennadeln, und bald fand ich, wonach ich suchte: ein klarer Abdruck, wo die Reiterin vom Pferd gestiegen und mit ihrem vollen Gewicht auf einem Fuß aufgetreten war.
Es war offensichtlich, daß dieser Fußabdruck zu den früheren paßte. Jakob hat recht kleine Füße, und einen Augenblick war ich versucht, ihn als möglichen Zeugen in Betracht zu ziehen. Doch es läßt sich kaum bezweifeln, daß Elisabeth meine schmalfüßige Zeugin ist. Allein schon ihr plötzliches Zurückschaudern vor mir ist Beweis genug. Sie war mir gefolgt, als ich gestern nachmittag das Schloß verlassen hatte, aber sie hatte schon gewußt wohin, denn sie war mir nicht zu Fuß gefolgt. Statt dessen hatte sie diesen Umweg gewählt, der sie unentdeckt zu ihrem Beobachtungsposten führen würde. All dies sprach für ein gewisses Maß an Planung, für eine genaue Kenntnis meiner privaten Unternehmungen seit mehreren Wochen. Mit diesem beunruhigenden Gedanken im Kopf kehrte ich zum Schloß zurück.
23. SEPTEMBER 1887, MORGENS
Gestern abend ließ mir Elisabeth durch Brod ausrichten, daß sie indisponiert sei und nicht mit mir zu Abend essen könne. Auch das Frühstück nahm ich allein ein, wie meistens in letzter Zeit. Doch heute lag mir viel daran, sie zu sehen.
Elisabeth ist alles andere als schwer durchschaubar. Sie ist durch und durch ehrlich und hat die größten Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu verbergen. Ich brauchte nur einen kurzen Augenblick, einen kurzen Austausch von Alltags-floskeln, irgendeinen Vorwand, mit dem ich sie dazu bringen konnte, mir in die Augen zu sehen, und sofort würde ich ihren nächsten Schritt abschätzen können.
Ich trödelte
Weitere Kostenlose Bücher