Das geheime Leben des László Graf Dracula
weiter, drehten sich in sicherer Entfernung wieder um und folgten uns mit den Blicken, um zu sehen, wer wohl als nächster von diesen Todesengeln aufgesucht wurde.
Am Nachmittag begann es zu schneien. Wir werden am Ende doch eine weiße Weihnacht haben. Die Welt braucht eine saubere weiße Decke, einen Schleier über die Düsterkeit und das Elend dieser Zeiten. Aber nichts kann den scharfen Gestank des Typhus auslöschen. Er quält mich wie ein Alpdruck. Ich kann ihm nicht entfliehen, auch nicht, wenn ich allein in der Schloßbibliothek sitze.
Mari hat sich im Schlafzimmer eines Patienten, zu dem ich gerufen worden war, übergeben. Die Familie war entsetzt, daß wir die Krankheit in ihr Haus gebracht hatten, und konnte uns nicht schnell genug wieder loswerden. Wenn ich nicht dabeigewesen wäre, ich glaube, sie hätten sich auf sie gestürzt. Es liegt Hysterie in der Luft. Die Menschen sind mißtrauisch, die Angst vor Ansteckung nimmt gespenstische Formen an. Ich habe bemerkt, daß viele Leute zusammen mit dem üblichen Weihnachtsschmuck auch Kreuze an ihren Türen befestigt haben, und einmal habe ich sogar einen Bund Knoblauch, das alte Hausmittel gegen böse Geister, zwischen den vergoldeten Tannenzapfen über der Türschwelle hängen sehen.
Obwohl es noch mehr Besuche abzustatten gab, brachte ich Mari nach Hause.
Sie protestierte den ganzen Heimweg über, obwohl klar war, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als ich ihr von dem Einspänner helfen wollte, sackte sie mir schwer in die Arme, und so trug ich sie ins Haus. Helene brachte sie zu Bett.
Ich erlaubte mir, noch so lange zu bleiben, bis ich gesehen hatte, wie Helene mein Geschenk aufmachte.
»Aber es ist noch nicht Weihnachten«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln. Sie ist noch immer ein halbes Kind, ein Aspekt, den ich zauberhaft nennen würde, wenn er mich nur nicht so quälte.
»Aber darf man Geschenke nicht auch schon am Heiligabend aufmachen?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie zweifelnd.
Sie warf einen Blick in das Zimmer, wo Mari schon in tiefem Schlaf lag.
Theresa war abwesend – wohl auf einem ihrer mildtätigen Rundgänge, um den Leidenden geistlichen Beistand zu spenden.
»Mach es auf«, drängte ich sie. »Nur du und ich werden es wissen.«
Eine Weile starrte sie sprachlos auf die Brosche in ihrer Hand, dann lachte sie hell auf vor Freude. Impulsiv wollte sie mir um den Hals fallen, um ihren Dank auszudrücken, aber dann überlegte sie es sich anders und errötete verlegen.
»Du mußt sie anprobieren«, sagte ich.
Die Brosche hatte die Form von Schmetterlingsflügeln, in feiner Emaillearbeit ausgelegt. Ich wollte gerade vortreten, um ihr zu helfen, sie an ihr Kleid zu stecken, doch als sie den Verschluß aufmachte und ich die scharfe Nadelspitze sah, wußte ich, daß ich schon allzu dicht an der Flamme war.
Ich bin von innerem Getöse erfüllt, als wären meine Gefühle zwei Musikstücke, die aufeinanderprallen. Ich habe echtes Mitleid mit dem Mädchen, das so bald nach dem Tod des Vaters nun vielleicht auch die Mutter verlieren wird, und doch peitscht mich das Verlangen, ihren Körper auszuplündern. Ein wilder, rhythmischer Singsang zerhackt die exquisiten Harmonien des Streichquartetts, und das Ergebnis ist eine schrille Kakophonie, die ich nur mit Arbeit und immer mehr Arbeit ersticken kann, bis ich vor Müdigkeit umfalle.
25. DEZEMBER 1887
Die Kirche war an diesem Weihnachtstag bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele in der versammelten Gemeinde hielten sich Taschentücher vor den Mund, als könnte die Ansteckung speziell auf diesem Weg eintreten. Gregor hielt eine gute Predigt, in der er uns sagte, daß wir als eine Gemeinde zusammenhalten und einander helfen müßten, daß wir gemeinsam stärker seien als jeder einzelne für sich allein. Aber wie ich bemerkte, blieben die Taschentücher an den Mündern, und nach dem Gottesdienst gingen die Menschen mit niedergeschlagenen Augen fort, damit sie ihren Nachbarn nicht grüßen und seine Hand schütteln mußten.
Theissen paßte mich ab, als ich Elisabeth in die Kutsche half. Aus der Art, wie er nervös von einem Fuß auf den anderen trat und ängstliche Blicke in Elisabeths Richtung warf, war zu ersehen, daß sein Anliegen vertraulicher Natur war. Ich ging mit ihm ein Stückchen auf die Seite.
»Ja?« fragte ich ungeduldig. Ich hatte es eilig, meine Arbeit wie-deraufzunehmen, aber er bestand darauf, erst abzuwarten, bis alle Personen außer Hörweite
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