Das geheime Leben des László Graf Dracula
waren.
»Es gibt da eine Schwierigkeit mit den Beerdigungen, Herr Graf.«
»Ich fürchte, ich habe es längst aufgegeben, auf Beerdigungen zu gehen. Ich würde den Toten gern die letzte Ehre erweisen, aber es sind einfach zu viele.«
»Das Problem ist, daß wir nicht genügend Grabstätten haben. Die Totengräber bereiten immer eine bestimmte Anzahl vor, bevor der Boden gefriert, und wir haben sie schon alle aufgebraucht.«
»Alle?«
»Bis auf eine oder zwei. Es geht schon das Gerücht um, daß man in dieser Stadt kein christliches Begräbnis mehr bekommen kann.«
Ich seufzte vor Erbitterung. »Soll ich mich vielleicht um jedes Problem der Lebenden und der Toten kümmern ?« herrschte ich ihn an.
Der Bürgermeister schien ziemlich niedergedrückt, und ich rief mir beschämt ins Gedächtnis, daß er vor kurzem sein einziges Kind verloren hatte.
»Sehen Sie«, sagte ich in sanfterem Ton. »Dies sind ungewöhnliche Zeiten.
Wir können wirklich nicht mehr tun.«
»Es wird halt geredet«, sagte er ausweichend.
»Worüber denn?«
Er schien sich zu genieren, mir den Klatsch und Tratsch zu wiederholen. »Die Leute sind abergläubisch. Viele machen sich darüber Sorgen, was mit ihren unsterblichen Seelen geschieht, wenn ihre Körper nicht beerdigt werden.«
»Ach, um Himmels willen!«
»Herr Graf, Sie und ich wissen, daß das nichts als Aberglauben ist. Aber für andere Menschen ist es real. Ihre Seelen schweben in Gefahr. Mit dem Gedanken an die Krankheit werden sie noch fertig, aber mehr als den Tod selbst fürchten sie, zu lebenden Toten zu werden.«
»Passen Sie auf«, sagte ich zu ihm, nachdem ich die Alternativen durchdacht hatte. »Wir werden ab sofort die Leichen wie gewöhnlich in die Gräber versenken, aber wenn die Familie den Friedhof verlassen hat, holen wir die Särge wieder heraus. Sie müssen mit Pater Gregor übereinkommen, sie bis zur Frühlingsschmelze in der Krypta aufzubewahren.«
Mir ist nicht recht wohl bei diesem Täuschungsmanöver. Wenn die Sache auffliegt, bevor die Epidemie sich ausgebrannt hat und die Gemüter abgekühlt sind, droht uns eine noch weitaus heftigere Reaktion der Bevölkerung als die, die wir jetzt zu vermeiden suchen.
27. DEZEMBER 1887
Heute war Mari nicht mehr fähig aufzustehen. Sie bemüht sich zwar, bei Bewußtsein zu bleiben, und fällt hin und wieder in unruhigen, fiebrigen Schlaf, aber er spendet ihr keine Kraft. Helene und Theresa sorgen für sie, und ich habe etwas Opiumtinktur dagelassen, um ihr Erleichterung zu verschaffen.
Helene begleitet mich zur Tür. »Ich kann mit Ihnen mitkommen«, sagte sie.
»Auf meinen Runden?« fragte ich überrascht.
»Warum nicht? Ich habe es früher auch getan.«
»Deine Mutter braucht dich jetzt«, sagte ich zu ihr.
»Theresa wird sich um sie kümmern, während ich weg bin. Außerdem muß ich hin und wieder rauskommen, weil ich hier sonst ersticke!«
»Ich möchte dich keiner Gefahr aussetzen.«
»Ich bin ihr genauso ausgesetzt, wenn ich hierbleibe. Stimmt das etwa nicht?«
Ich brachte es nicht über mich, sie anzulügen, und nickte zögernd.
»Wo ist dann also der Unterschied?« fragte sie in herausforderndem Ton, versuchte gar, mich festzuhalten, während ich in den Einspänner kletterte. Aber ich gab dem Pferd schon die Peitsche, um nur schnell fortzukommen.
29. DEZEMBER 1887
Heute morgen, bei Tagesanbruch, klopfte es an meine Schlafzimmertür. Es war Jakob mit einer Nachricht. Inzwischen bin ich so an diese Art Unterbrechung meines Schlafs gewöhnt, daß ich wie ein Automat aufstehe, in die Kleider fahre, Czernins Tasche nehme und kaum weiß, was ich tue, bis ich in eine Decke eingewickelt in dem Einspänner sitze. Aber diesmal weckte Jakob mich nicht wegen eines weiteren Krankheitsfalls. Ich stand nicht wie ein Automat auf, da ich seit mehreren Stunden wach dagelegen war. Und ich wußte, daß die Nachricht von Inspektor Kraus sein würde, der mich zu einem weiteren Mordschauplatz rief.
Ich wartete geduldig, während der Polizist mir lang und breit den Weg zu dem Ort beschrieb, an dem, wie ich wußte, Kraus auf mich wartete. Jakob machte Miene, mir zu dem Einspänner zu folgen, da er mich gewöhnlich zu diesen frühen Besuchen fuhr, aber ich winkte ab. Der Schnee war noch frisch von gestern, und das Pferd folgte den Wagenspuren mit vorsichtigen Schritten den Hügel hinunter. Ich hatte keine Angst. Ich fühlte mich von tiefer Ruhe durchdrungen, als hätte sich über Nacht ein Sturm ausgetobt und mich
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