Das geheime Leben des László Graf Dracula
Vaci-Straße. Ich habe sie auf einem Markt in Budapest gekauft. Am Stand des Händlers gab es Hunderte davon. Ich muß mich schuldig bekennen, Helene ein Geschenk gemacht zu haben, das teuer aussieht, es aber nicht ist.«
»Aber die Emaillierung ist exquisit.«
»Das sieht nur so aus, aber wenn Sie hier und hier genauer hinsehen, werden Sie die kleinen Fehler sehen, die bei der Fertigung entstanden sind. An die Arbeit eines wahren Künstlers kann das Stück niemals heranreichen.« Mit einer wegwerfenden Bewegung gab ich ihm die Brosche zurück und fuhr so schnell fort, daß er ganz vergaß, sie selbst in Augenschein zu nehmen. »Es wäre doch nicht völlig von der Hand zu weisen, daß Estelle ihre Brosche beim selben Händler erworben hat. Oder daß ein Verehrer sie dort für sie gekauft hat. Aber das ist reine Spekulation.«
Ich sah ihn mit einem erwartungsvollen Blick an, als wollte ich ihm die Gelegenheit geben, seine eigene Meinung zu formulieren. Zugleich ließ ich ihn jedoch meine Ungeduld spüren. Er sollte ruhig wissen, daß ich Wichtigeres im Kopf hatte. »Aber ich hätte gern etwas anderes, Greifbareres, mit Ihnen besprochen«, fuhr ich fort.
Ich konnte sehen, daß Kraus das Thema höchst ungern wechselte. Er wollte sich wie ein Hund mit einer toten Fledermaus noch ein wenig mit der Brosche beschäftigen, daran schnuppern und sie zwischen den Zähnen schütteln, bis zweifelsfrei feststand, daß alles Leben daraus verschwunden war.
»Ich hoffe, ich habe Ihre Aufmerksamkeit?« fragte ich etwas gebieterisch, weil der Inspektor damit begonnen hatte, die Brosche in seinen Händen zu drehen und nach den Fehlern zu untersuchen, die ich erwähnt hatte.
»Natürlich«, sagte er. »Entschuldigung.«
»Auf Ihren Rat hin habe ich Brod etwas beobachtet.«
»Ja?«
Ich hatte ihn tatsächlich abgelenkt. Mit einem Schlag war er bereit, in eine völlig andere Richtung loszujagen.
Jetzt hatte ich ihn im Griff, aber ich ließ mir Zeit. Ich hatte das Gefühl, daß ich ihm einen Gewissenskonflikt vorspielen mußte, so tun, als widerstrebte es mir, zu sagen, was ich ihm sagen wollte. Meine Finger trommelten nervös auf die Tischplatte.
»Und?« fragte Kraus ungeduldig.
»Sein Verhalten war so eigenartig. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Erzählen Sie.«
»Ich weiß nicht, ob mir die jüngste Entwicklung noch gefällt!«
»Ich kann verstehen, daß Sie Ihrem Diener die Stange halten, aber ich brauche Sie wohl kaum daran zu erinnern...«
»Bitte!«
»Verzeihung. Das war nicht angebracht.«
»Die Untersuchung nimmt uns alle sehr mit. Und dieses abergläubische Geschwätz über Vampire war der Sache auch nicht gerade förderlich. Ich stünde tief in Ihrer Schuld, wenn Sie damit aufhören könnten, auf dem Schloß Fragen zu stellen, bis unsere Gäste abgereist sind. Ist das zuviel verlangt?«
Offensichtlich war es zuviel verlangt, denn er zögerte verlegen. Vielleicht war er dichter daran, mich zu stellen, als ich geglaubt hatte. Oder dichter daran, jemand anderen zu stellen.
»Vielleicht«, fuhr ich fort, »erleichtert es Ihnen die Entscheidung über Ihr weiteres Vorgehen, wenn ich Ihnen sage, was Brod getan hat. Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich versuchte zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren, und so machte ich das Licht aus und setzte mich ans Fenster. Der Himmel war klar, und der Mond spendete Licht. Meine Gedanken wanderten umher. Vielleicht bin ich eine Weile eingeschlafen, aber ganz plötzlich merkte ich, daß unter mir eine Gestalt über den Kies ging oder vielmehr schlich. Bei jedem Schritt setzte sie einen Fuß vorsichtig vor den anderen, um so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Es war schwierig, zu erkennen, wer es war.«
»Brod?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Also, Graf, Sie können ihn nicht ewig beschützen.«
»Es war jemand, der so gebaut war wie Brod.«
»Und wie viele Leute auf dem Schloß passen zu dieser Beschreibung?«
»Ich bin ihm gefolgt. Das heißt, ich habe ihn in der Stadt eingeholt, denn als ich mich fertig angezogen hatte und auf die Straße kam, war er längst verschwunden. Aber ich nahm eine Abkürzung durch die Felder und den Fluß entlang. Natürlich kann ich mir nicht absolut sicher sein, daß es derselbe Mann war.«
»Wieviel Uhr war es da?«
»Ungefähr zwei.«
»Ich meine, wer sonst hätte um diese nächtliche Zeit unterwegs sein können?«
»Aber wenn wir wissenschaftlich vorgehen wollen, müssen wir Beobachtung und Meinung
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