Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
Vom Netzwerk:
beharrlich fort.
    »Oh, ich würde sagen, daß das alles mit der neuen Umgebung zu tun hat, der aufregenden Reise. Sie ist romantisch und in einem Alter, in dem man für neue Eindrücke besonders empfänglich ist. Hier muß ihr alles sehr exotisch vorkommen.«
    »Männern fehlt dafür oft das Gespür.« Nicoles Stimme klang bitter. »Aber Frauen kennen sich da besser aus, nicht wahr, Elisabeth?« fragte sie.
    Zu meinem Erstaunen fand Elisabeth die Situation amüsant und schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden. »Ich glaube, Nicole hat recht. Stephanie hat dich auf dem ganzen Heimweg förmlich mit den Augen verschlungen. Aber du warst noch so mit der Begegnung mit den Zigeunern beschäftigt, daß du gar nicht auf sie geachtet hast. Du mußt mehr Rücksicht auf sie nehmen, László, und sie schonend behandeln, sonst verletzt du ihre Gefühle. Auf keinen Fall darfst du sie völlig ignorieren, so wie vorhin, das war wirklich nicht nett.«
    Was ist nur in sie gefahren? Hat sie so viel Vertrauen zu meinen Leibwächtern, daß sie glaubt, die verlockendste Beute könnte ungestraft vor mir herumlaufen? Vielleicht kennt sie meinen Geschmack nicht. Oder hält mich für kuriert. Aber sie ist schon einmal grausam aus ihren Illusionen gerissen worden und muß doch daraus gelernt haben.
    Stephanie erschien wieder erholt, wenn auch etwas blaß zum Abendessen. Sie warf einen vorwurfsvollen Blick in meine Richtung, als hätte ich an diesem Nachmittag tatsächlich ihre Gefühle verletzt. Ihre Erwartung, daß ich jede geheime Nuance ihrer Laune auffangen und auf gleiche Art auf sie reagieren soll, hat etwas Tyrannisches an sich. Zugleich war mir klar, daß sie schon wieder etwas im Schilde führte und nur noch den geeigneten Zeitpunkt abwartete. Völlig züchtig saß sie da, die Augen untypisch nach unten geschlagen, mit einem unterdrückten Lächeln, das an den Winkeln ihrer hübschen Lippen zog.
    Brod schenkte uns zum Fisch Wein ein. Einen Moment lang blieb die Hand, die die Flasche umschloß, dicht neben meinem Gesicht hängen; die blasse geäderte Haut erinnerte mich an ein gerupftes Huhn. Ich überlegte mit fast abstrakter Neugier, was für ein Schicksal ihm heute nacht beschieden sein würde. Würde er seine verborgene Waffe ziehen, um sich gegen die unbekannten Angreifer, die sich ohne Warnung aus der Dunkelheit auf ihn stürzten, zu verteidigen – und sterben?
    »Übrigens«, sagte Stephanie in einer Gesprächspause. »Wußten Sie, daß der Polizist, den wir heute gesehen haben, den Mörder immer noch nicht gefangen hat?«
    Ich entließ Brod mit einer Handbewegung.
    »Es heißt sogar, er sei ihm noch nicht einmal auf der Spur.«
    »Stephanie«, unterbrach sie ihre Mutter, »du willst doch hoffentlich keine wilden Gerüchte am Eßtisch zum besten geben.«
    »Es sei denn, sie sind schrecklich spannend«, warf Lothar ein und blinzelte ihr zu.
    »Ich wünschte mir, sie würde sich nicht mit den Dienern unterhalten.« Nicole bemühte sich um Gelassenheit, aber ein angespanntes Lächeln verbarg ihr Mißvergnügen.
    »Trotzdem wissen sie in der Regel mehr als wir«, bemerkte Lothar.
    »Und es ist nicht nur eine Frau, die er umgebracht hat«, fuhr Stephanie fort.
    »Es waren zwei. Eine mit durchschnittener Kehle und eine so gräßlich verstümmelt, daß alle glauben, ein Vampir hätte es getan.«
    »Stephanie!« rief ihre Mutter.
    »Nicht alle«, sagte Elisabeth. »Nur die Bauern und ungebildeten Leute.«
    »So, wie es aussieht, habt ihr hier einen Jack the Ripper«, sagte Lothar genüßlich. Er schien sich vor allem an mich zu wenden.
    »Nein, das hier ist ein übernatürliches Phänomen«, beharrte Stephanie. »Jack the Ripper ist ein elender, geistesgestörter kleiner Mann in den Slums von London; das hier ist etwas völlig anderes. Diese Frauen wurden von jemandem ermordet, der übernatürliche Kräfte besitzt.« Sie sah uns alle nacheinander an, bis sie auf einmal ein Schauer überlief. Sie schien ihn zu genießen.

    I0. APRIL 1888, FRÜHER MORGEN

    Brod ist der Nachtwächter und bezieht immer in einem alten Korbstuhl neben der vorderen Haustür Stellung. Ich hatte mir den ganzen Abend überlegt, wie ich nur an ihm vorbei nach draußen gelangen könnte, aber das war gar nicht meine Hauptschwierigkeit. Vielmehr mußte ich ihn zuallererst wecken, damit er die Verfolgung aufnehmen konnte, denn als ich mich die Treppe hinunterschlich, fand ich den Kerl doch tatsächlich eingehüllt in eine Decke und friedlich schnarchend

Weitere Kostenlose Bücher