Das geheime Leben des László Graf Dracula
Thébauld, die Concierge, die mit dem Gespür eines Geiers für das Unglück abwartend um mich herumflatterte, kam die Treppe heraufgestiegen, um mich zu fragen, ob ich krank wäre. Ich hörte ihre Schritte im Gang näher kommen, dann mehrere Minuten vor meiner Tür anhalten, lauschend, wie ich annehme, darauf wartend, daß ich mit mir selbst rede, phantasiere, laut schreie oder in Halluzinationen große Reden schwinge. Sie weiß, daß ich keinen Besuch habe, dessen Gespräche mit mir sie belauschen könnte. Am Ende wurde sie ungeduldig und klopfte an die Tür.
»Geht es Ihnen nicht gut, Doktor?« fragte sie und warf einen Blick durch mein Zimmer.
»Madame, ich weiß gar nicht, wie Sie auf diese Idee kommen können.«
»Aber Sie haben gar nichts zu Abend gegessen! Wie wollen Sie da bei Kräften bleiben?«
Ich wußte nicht, welche der verschiedenen Lügen ich ihr erzählen sollte, die mir durch den Kopf gingen. »Eine kleine Verdauungsstörung. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Ganz bestimmt?«
»Aber sicher. Aber danke für Ihre Nachfrage.« Es zahlt sich nicht aus, es sich mit dieser Frau zu verderben.
»Na gut«, sagte sie schließlich voller Zweifel.
Bevor sie wieder ging, schien sie sich an etwas zu erinnern, kramte in ihren Taschen und überreichte mir schließlich einen Umschlag. Darin war die Schneiderrechnung, eine horrende Summe, die ich unmöglich bezahlen kann.
Ich weiß, daß ich Georg nicht um Geld bitten kann. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. Ich habe noch nie Schulden gehabt. Was werden sie tun, wenn ich sie nicht bezahlen kann? Ich stelle mir vor, wie man mich mitten in der Nacht ins Gefängnis wirft, aber ich glaube, das kommt mehr von meinen Schuldgefühlen wegen Stacia und was mit ihr passiert ist.
Ich habe mein Gesicht im Spiegel betrachtet, um zu sehen, ob ich eine Veränderung darin entdecken kann. Es ist blaß und ausgezehrt, und die Augen glänzen wie im Fieber. Ich muß an Stacias Blässe und an die tiefen Schnitte an ihren Armen denken. Was muß geschehen, daß man sich so etwas antut? Ist es die Verzweiflung? Oder ein perverser Mut? Oder ist es irgendeine wilde Selbstaufgabe (was immer das Gegenteil von Selbstbewußtsein sein mag, das wir modernen Menschen so schätzen), die allein es einem erlaubt, seine ganze Wut herauszulassen, zu zerschneiden und aufzuschlitzen und zuzustoßen bis aufs Blut? Ich zucke zurück vor diesem Gedanken. Es gelingt mir nicht, meine Finger in Gedanken dazu zu bringen, das Rasiermesser zu ergreifen, meinen Arm zu entblößen. Und doch hat sie es getan. Stacia hat ihre weiche weiße Haut offengelegt und zugesehen, wie das heiße Blut aufgewallt und aus der Wunde geströmt ist. Ich habe einen salzigen Geschmack im Mund, als könnte ich, mit einem Kuß, die offenen Ränder der Wunde versiegeln. Ich darf mich nicht mit diesen Gedanken quälen.
Ich habe mich oft gefragt, inwieweit meine Entscheidung zum Arztberuf damit zusammenhing, Georg zu beweisen, daß ich nicht vor Blut zurückschrecken würde. Seit Georg bei den Husaren war, hatte er immer alle möglichen schrecklichen Geschichten von klaffenden Säbelwunden parat, von Gliedmaßen, die den Männern von Kanonenkugeln vom Körper gerissen worden waren, oder, und das faszinierte den Philosophen in mir, vom völligen Verschwinden einer gesamten Infanteriekompanie, die im selben Augenblick einen Angriff startete, in dem eine Ladung Kartätschen auf sie abgefeuert wurde. Diese Geschichten waren nicht anders als die Geschichten von Jagdunfällen, mit denen er mich, als wir noch klein waren, erschreckt hatte.
Am Ende habe ich ihn eines Besseren belehrt, aber da war es nicht mehr wichtig. Blut beunruhigte mich zwar, aber aus ganz anderen Gründen als den ursprünglich befürchteten. Ich erinnere mich noch an die erste Operation, der ich beigewohnt habe. Ein Kind – ich glaube, es war ein Junge – wurde festgehalten und auf den Tisch gedrückt, um einen Eiterbeutel in seiner rechten Lunge zu entleeren. Wir Studenten versammelten uns in einem Kreis rund um den Tisch, als der Professor, der die entsetzten Schreie des Kindes gar nicht zu hören schien, sich daranmachte, die Hohlnadel in die Brust einzuführen. Er blickte auf, um sich zu vergewissern, daß wir gesehen hatten, wie er den genauen Punkt des Einstichs festlegte. Wir alle wollten eigentlich nicht hinsehen, hielten den Blick möglichst abgewandt, wußten aber, daß wir den Anschein erwecken mußten, alles aufmerksam zu verfolgen.
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