Das geheime Leben des László Graf Dracula
Ich zuckte nicht davor zurück. Vielmehr stand ich da wie gelähmt, die Augen auf den hilflosen Jungen geheftet, mit heftig klopfendem Herzen.
Ich nehme an, ein Neurologe würde mein Mitleid mit dem leidenden Patienten als Faszination bezeichnen. Ich spürte eine starke Mischung aus Grauen und heimlicher, prickelnder Erregung. Frauen bei ihrer Niederkunft waren die Fälle, die mich am meisten beeindruckten. Und natürlich erlebten wir in dem Ausbildungshospital am häufigsten irgendwelche Katastrophen. Ich erinnere mich vor allem noch an eine junge Frau. Sie hatte am Tag davor ein Kind geboren, hatte aber einen Blutsturz von der zurückgehaltenen Nachgeburt.
Sie schien eine überirdische Schönheit zu besitzen. Vielleicht kam es von dem vielen Blut, das sie verlor, denn sie war so blaß wie ein Engel. Ihr Gesicht war mit Schweiß bedeckt, der glitzerte, wenn sie ihren Kopf hin und her rollte; sie befand sich in jenem ruhelosen Zustand, der Patienten mit hohem Blutverlust erfaßt, als würde der Körper die Todesnähe erahnen. Aber das Laken, das ihren Körper einhüllte, war von einem reinen Weiß.
Dann kam die Hebamme, um sie zu säubern, schlug das Laken zurück, und ich sah, daß ihre Schenkel mit Blut beschmiert waren und Blut zwischen ihren Beinen hervorquoll. Ich hatte davor noch nie das Geschlecht einer Frau gesehen, außer an einer Leiche. Ich stand da und zitterte am ganzen Körper. In diesem Augenblick muß die Hebamme, die zwischen ihren Beinen saß, meine Gegenwart gespürt haben; sie warf mir einen Blick über die Schulter zu und sagte in scharfem Ton, daß sie mich rufen würde, wenn sie mit der Patientin fertig sein würde. Nur schwer konnte ich meinen Blick von ihr losreißen. Das war kein lüsternes Interesse von mir, vielmehr war ich in der spirituellen Dimension der Szene gefangen – durch die Vereinigung der engelhaften Schönheit des Mädchens mit der Körperlichkeit ihres blutüberströmten Leibes.
Den Rest jener Nacht erlebte ich eine tiefe Melancholie, die fast an Freude grenzte. In dieses Gefühl mischte sich, oder war vielmehr ein wesentlicher Teil davon, das vage Gefühl von Schuld, wie ein wohltuender, vertrauter Duft, dessen wahre Identität aber dem Bewußtsein verschlossen bleibt.
Ich habe diese Szene in Gedanken immer wieder von neuem erlebt. Viele Male. Ich habe sie mir einverleibt. Ich habe das Grauen in meine Gedanken eindringen lassen, habe es darin eingeschlossen, wie eine Auster einen Kieselstein umschließt. In meiner Phantasie tupfte ich mit einem tropfenden Handtuch aus der Schüssel mit warmem Wasser vorsichtig das getrocknete Blut aus ihrem goldenen Schamhaar.
Ich habe mich ständig bemüht, mir in Erinnerung zu rufen, daß Blut mit Leiden, Verletzungen und Tod verbunden ist, aber es blieb für mich immer ein faszinierender Stoff. Ich sah es, wenn ich die Bindehaut herunterzog, um Patienten auf Anämie zu untersuchen, oder wenn es auf die Schürzen und Unterarme der Chirurgen spritzte. .Ich studierte die großen glänzenden Lachen, die sich auf dem abgeschabten Holz der Operationstische bildeten, und wie sie sich als rote Farbe mit dem klaren Wasser vermischten, mit dem es über die Kacheln zum Abfluß am Boden gespült wurde. Aber das war totes Blut. Es hatte seinen lebendigen Zauber verloren, seine sinnliche Kraft, sobald es aus dem Körper geflossen war.
Es war Wahnsinn, es zu schmecken. Es war ein dummer Einfall. Ich nehme an, ich wollte mich selbst prüfen, um Georg, den ich noch immer an meiner Seite fühlte, zu beweisen, daß ich stark geworden war. Bei einer Gelegenheit habe ich mich vom Bett der Patientin, deren Blutungen ich gestillt hatte, abgewandt, als würde ich über etwas nachdenken, und den geröteten Finger an meine Lippen geführt, um heimlich den starken Geschmack des gestohlenen Tropfens zu kosten. Das Risiko der Ansteckung schreckte mich nicht ab. Im Gegenteil: die Möglichkeit einer Infektion war Teil des Tests. Und wenn ich nicht krank wurde, durfte ich annehmen, daß mir das Geschenk des Lebens sicher war, daß ich gefeit war.
Ich schreibe dies, so wie ich mein Gesicht im Spiegel betrachten würde: um es zu objektivieren und beobachtbar zu machen. Ich neige dazu, über mich zu lachen, und doch kann ich das irrationale1 Interesse an Blut nicht völlig abschütteln. Es ist ein dummer Einfall, und ich darf ihn nicht ernst nehmen, denn sonst bin ich nicht besser als die auf unserem Besitz arbeitenden Bauern, die Knoblauch tragen, um Vampire zu
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