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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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geglaubt, mich auf das Licht zuzubewegen. Ich wußte, daß ich nur langsam vorankam, einige Rückschläge erlitt und manchmal die falsche Richtung einschlug, aber ich habe stets zu Wahrheit, Wissen, Anstand und Familie geneigt. Heute nachmittag habe ich erfahren, daß mir dieser Weg von nun an für immer verschlossen ist. Statt dessen folge ich einer instinkthaften Bestimmung, die einem dünnen, kaum wahrnehmbaren Faden gleicht, der sich durch ein Labyrinth zieht. Ich weiß nicht, wohin er führt oder was mich an seinem Ende erwartet, ob die Glut der Hölle, der aufbrüllende Minotaurus oder, schlimmer als alles, Stille, Überdruß, das Nichts.
    Heute nachmittag war ich bei den Berthiers. Meine Tante Sophie begrüßte mich mit einer etwas gezwungenen Fröhlichkeit, und zuerst glaubte ich schon, daß sie damit ihre Gekränktheit verbergen wollte, weil ich in der letzten Woche ihren jour fixe versäumt hatte. Als ich mich über sie beugte um ihr einen Kuß auf die Wange zu geben, war ich mir plötzlich überdeutlich meiner verdammenswürdigen Infektion bewußt, und ich war so von Scham erfüllt, daß ich die üblichen Höflichkeitsfloskeln kaum zustande brachte.
    Ich fand Aristide, der sich mit Lothar unterhielt, und wollte mich gerade wieder abwenden, um auf eine bessere Gelegenheit zu warten, mit meinem Onkel zu sprechen, als er den Kopf hob und mich entdeckte, und so blieb mir nichts anderes übrig, als zu ihnen zu gehen und mich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Lothar war sogar noch mehr von sich eingenommen als sonst.
    »Für Österreich-Ungarn«, sagte er gerade zu Aristide, »geht es nicht sosehr darum, einen Krieg zu gewinnen oder zu verlieren, sondern darum, ihn zu führen. Wir können nicht zulassen, daß Bismarck die Verträge mit unseren Verbündeten einfach mit Füßen tritt. Sieg oder Niederlage, das ist egal, auf jeden Fall müssen wir den Burschen in seine Schranken verweisen.«
    »Ich nehme doch an, daß Sie nicht selbst in die Schlacht ziehen werden?«
    erkundigte sich Aristide. Er wirkte müde und sah sich mit abwesender Miene im Zimmer um, als wären seine Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
    »Mein Land ist der Überzeugung, daß ich dem Kaiserreich in meiner gegenwärtigen Position nützlicher sein kann«, sagte Lothar glatt.
    »Die Worte eines echten Diplomaten«, sagte ich spöttisch, aber Lothar nahm das wie ein Kompliment auf.
    »Ich finde, ihr seid beide besser hier aufgehoben«, entschied Aristide. »Die Mauser-Gewehre, die die Preußen haben, geben tödliche Feuersalven ab. Da zählt nicht mehr der Mut, sondern die Gewehrkugeln pro Minute. Der Krieg wird so zu einer reinen Wissenschaft.«
    »Und die Börse bekommt es als erstes zu spüren«, sagte Lothar. »Vor allem die abendländischen Handelsgesellschaften – was für ein Blutbad!«
    Ich glaubte, den Ausdruck von Schmerz auf Aristides Gesicht zu sehen, aber es konnte auch Müdigkeit sein. »Die abendländischen Handelsgesellschaften«, stöhnte er, wie es Menschen tun, wenn ein Wort irgendeine tiefe private Bedeutung für sie hat. »Ich hoffe, Sie beide stecken nicht allzutief in diesem Geschäft. Ich habe Sie gewarnt, nicht wahr?«
    Er suchte ängstlich in unseren Gesichtern nach Zeichen des Unglücks.
    »Ja, das haben Sie getan«, sagte ich und nickte heftig mit dem Kopf, um ihn zu beruhigen.
    »Wenn es Ihnen ein Trost ist, ich bin selbst von dem Zusammenbruch betroffen. Ich habe es kommen sehen. Dachte aber, die Aktie würde es durchstehen... den Rest kennen Sie ja. Habe dabei mehr verloren, als ich gern zugebe.« Er kicherte, wollte so tun, als wären die abendländischen Handelsgesellschaften und der Verlust von Geld Dinge, die einem Mann seiner Ressourcen und seiner Erfahrung nichts anhaben könnten, aber seine Stimme klang gepreßt und niedergeschlagen.
    Lothar, der vollkommene Diplomat, wechselte das Thema, und ich fand eine Entschuldigung, um mich auf die Suche nach Nicole zu begeben.
    Sie war von ihren schmeichlerischen Freunden umringt und sah mich nicht kommen. Ich glaube, ich habe sie erschreckt, als ich plötzlich in ihrem Gesichtsfeld auftauchte, denn sie unterbrach sich mitten im Satz und sah verwirrt aus, bevor sie sich wieder faßte. Irgendwie gaben mir die frischen hübschen Gesichter der Mädchen in ihren weißen Kleidern und die anständigen, unbescholtenen Gesichter der Männer in ihrem Gefolge das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Ich kam mir neben ihnen alt und korrupt vor. Ich gehörte eher zu

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