Das geheime Leben des László Graf Dracula
hegte schon den Verdacht, daß sie noch andere Liebhaber hatte. Dieser Gedanke war mir schon mehrmals durch den Kopf gegangen, ohne mich groß zu stören. Trotzdem verspürte ich ihr gegenüber ein Pflichtgefühl. Ich wollte ihr wahrer Beschützer sein.
»Und was habe ich damit zu tun?« fragte ich kühl.
»Es amüsiert mich.«
»Weil Sie mich mit hineinziehen wollen, deshalb tun Sie es – um Unheil zu stiften.«
»Es gibt schlimmere Gründe.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Mir fiel nichts ein, was ich zur Verteidigung elementarer Werte hätte sagen können. Statt dessen richteten sich meine Gedanken – ungewollt, wie von selbst, wie in einem perfiden Wachtraum
– auf die Möglichkeit einer Leihgebühr. In diesem Augenblick des Schweigens wurde mir mein vollständiger moralischer Bankrott bewußt.
Mein Zögern war für Lothar wie für einen Wolf die entblößte Kehle.
»Bedenken Sie, daß ich sie nicht erst haben will, wenn Sie von ihr gelangweilt und mit ihr fertig sind«, sagte er.
»Sie sprechen von dieser Frau, als wäre sie ein Aktienpaket, das an der Börse gehandelt wird.«
»Kommt daher, weil ich schamlos bin.« Es sollte trocken und humorvoll klingen, wie es seine Art war, aber ich hatte das Gefühl, daß ich wieder einmal Gelegenheit hatte, Lothar in einem seltenen Augenblick der Transparenz zu beobachten. »Das macht mich frei«, sagte er.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das ernst meinen.« Aber ich konnte es mir sehr wohl vorstellen.
»Ich will sie frisch haben, jetzt, solange sie begehrt wird.« In seinen Augen blitzte Begierde auf. Das war es also.
Er hatte ein Lederetui aus seiner Manteltasche gezogen. Wenn ich gründlicher nachgedacht hätte, hätte ich gewußt, was er vorhatte, aber das tat ich nicht, und so war ich nicht darauf vorbereitet, als er zwei große Banknoten auf den Tisch legte.
»Eine Anzahlung«, sagte er mit ruhiger Stimme. Er starrte mich einen kurzen Augenblick an, und ich stellte mir vor, daß er ganz professionell meinen Gesichtsausdruck einschätzte, genauso wie ich im Zirkus die Dompteure ihre Tiere habe taxieren sehen, um festzustellen, ob sie störrisch sind.
Weil ich nicht darauf vorbereitet war, reagierte ich zu langsam. Ich ging um den Tisch herum und nahm das Geld.
»Nein!« protestierte ich mit einem Pathos, der wenig überzeugend war.
Aber Lothar war schon an der Tür und drehte sich um, während er seinen Hut auf dem Kopf zurechtrückte. »Bis morgen?« fragte er ganz nüchtern und ging die Treppe hinunter.
Ich hätte hinter ihm herlaufen und weitere Argumente vorbringen können.
Aber was gab es denn noch zu diskutieren? Ich hätte hinter ihm herlaufen und ihn von hinten festhalten und ihm seine Geldscheine in den Hals stopfen können, bis er daran erstickte. Aber bevor ich es tat, warf ich noch einen Blick auf sie, um mich von der Höhe ihres Nennwerts zu überzeugen.
Stacia hat mir gesagt, daß sie heute abend nicht aus dem Hôpital kann, und ich habe sie nicht nach dem Grund gefragt, denn sie gerät schon aus dem kleinsten Anlaß in ungeheure Wut – besonders wenn ich durchblicken lasse, daß ich davon ausgehe, über ihre Zeit verfügen zu können, besonders, wenn ich ihr nicht zur Verfügung stehe, wann sie es will. Das gehört zu ihrem leidenschaftlichen Wesen und ist ja gerade der Grund, warum ich sie so aufregend finde.
Nachdem Lothar weg war, wanderte ich ruhelos durch die Stadt. Anscheinend zieht mich Elend geradezu instinktiv an, denn ich gerate immer in die heruntergekommensten Spelunken. Natürlich fand ich mich, kurz vor neun, in der Nähe von Stacias Haus wieder und konnte nicht widerstehen, in die vertraute Straße einzubiegen. Ich glaube, in ihrem Zimmer brannte Licht, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin. Früher hat mich der Gedanke nie gestört, daß sie andere Männer bei sich haben könnte. Tatsächlich hat sie selbst gelegentlich von Verehrern gesprochen, und wenn ich dann nicht eifersüchtig wurde, schmollte sie und wollte mir einreden, daß sie einen reichen Mann an der Hand hat, der nach einem Beweis ihrer Gunst geradezu lechzt. Ihre List war bei mir die reinste Verschwendung, trotzdem mache ich mir jetzt Sorgen wegen des Lichts in ihrem Fenster. Was hat Lothar getan? Ich fühle, wie ich von feinen Tentakeln eingeschnürt werde, die mich enger an sie binden als je zuvor.
21. JUNI 1866
Mein Leben ist ein Labyrinth, und ich tappe im dunkeln. Einmal, vor langer Zeit, wie es scheint, habe ich
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