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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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Lothar.
    Aber Nicole versuchte mich in das Gespräch miteinzubeziehen. Sie war das Licht, und ich starrte sie von meinem dunklen Platz aus an, als würden wir uns zum letztenmal sehen. Während sie sprach, lauschte ich nicht ihren Worten, sondern der Musik ihrer Stimme und versuchte sie mir einzuprägen, aber es war kein Platz für sie in meinen Erinnerungen. Ich beteiligte mich nicht an den schlagfertigen Antworten, die sie austauschten, hörte mir die neuesten Geschichten an und den Klatsch darüber, wer mit wem im Theater gesehen worden war. Von Zeit zu Zeit warf mir Nicole einen Blick zu, um zu sehen, ob ich schon die Geduld verlor bei all diesen Albernheiten. Und die ganze Zeit breitete sich wie eine Krankheit Traurigkeit in mir aus. Ich verabschiedete mich, ich ging auf eine lange Reise. Nein, ich war schon fort. Ein Teil von mir hatte sich schon verhärtet gegen diese zarten Gefühle, so wie der Frost die grünen Triebe absterben läßt. Ich trauerte um das Leben, das ich aufgab, und um die Gefühle, die schon bald keine Bedeutung mehr für mich haben würden.
    Ich hätte mich gerne verabschiedet, aber es war noch zu früh und hätte unhöflich gewirkt, und so ging ich hinaus in den Wintergarten, um allein zu sein. Dies war ein Ort, den die Männer aufsuchten, um eine Zigarre zu rauchen und über geschäftliche Dinge zu reden, ohne die Damen zu verärgern, aber heute war der kleine Dschungel leer. Ich stand neben einer Pflanze mit großen ledrigen Blättern, die mir so fremd vorkamen, als stammten sie von einem anderen Planeten, und ich stellte mir ein Leben des Dienens und der Selbstaufopferung als medizinischer Missionar in den Tropen vor. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, nach Ungarn zurückzukehren und dort in Untätigkeit darauf zu warten, daß die Krankheit ihren Verlauf nahm.
    In diese trüben Gedanken versunken, hörte ich zuerst gar nicht, daß die Tür aufging und dann leise wieder geschlossen wurde. Ich weiß nicht, wie ich mir ihrer Gegenwart dann doch bewußt wurde, auf jeden Fall folgte ich einem inneren Impuls, drehte mich um und sah Nicole.
    »Ich wollte Sie nicht stören«, sagte sie leise.
    »Aber Sie stören mich doch nicht«, erwiderte ich, während sie auf mich zukam.
    »Es sah aus, als wären Sie tief in Gedanken versunken.«
    »Ich glaube, das war ich auch.«
    »Sie sind ein so tiefgründiger Mensch, László. Ich habe oft nicht die blasseste Ahnung, was Sie denken.«
    »Ich habe über das Leben nachgedacht. Wie es dazu kommt, daß man an einen Punkt gelangt, an dem man eine Entscheidung treffen muß, an dem man den einen oder den anderen Weg einschlagen kann.«
    »Ich weiß.«
    Ich sah sie erstaunt an. Ich war davon ausgegangen, daß Nicoles Leben unbeschwert und ohne Risiken verlief und damit auch ohne die Notwendigkeit, irgendwelche Entscheidungen zu treffen, die schwieriger waren als die Auswahl des Stoffes für ein neues Kleid.
    »Früher oder später ändert sich alles«, fuhr sie fort. »Alle guten Dinge haben ein Ende.«
    »Ich glaube, das stimmt«, sagte ich, obwohl ich mir überhaupt nicht darüber im klaren war, worauf sie anspielte.
    »Wie die Kindheit. Das ist etwas, was zu Ende geht. Wissen Sie noch?«
    »Das Ende der Kindheit? Ich bin mir nicht sicher, daß es einen ganz bestimmten Augenblick gegeben hat, an dem es mir bewußt geworden ist.«
    »Wann wird man sich denn der Dinge bewußt? Wann weiß man über sich selbst Bescheid und merkt, daß man kein Kind mehr ist?« Ihre Augen schweiften in die Ferne.
    »Wenn man nicht mehr unschuldig ist?« schlug ich vor. »Wenn man weiß, was man weiß?«
    »Ja, dann auch.« Sie senkte den Blick, als überlegte sie, ob es gefährlich war, etwas in Worte zu fassen. »Ich mußte an die Zeit denken, als Mama und ich Sie in Ihrem Schloß besucht haben«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben. »Das Gedicht... die Vernarrtheit.«
    »Ich habe Sie geliebt«, sagte ich. Aber jetzt zählte nichts mehr. Vorbei, vorbei.
    Plötzlich blickte sie auf, und in ihren Augen standen Tränen. »Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß, daß Sie das getan haben. Sie waren so heftig, so ernst, so entschlossen.«
    »Und Sie?« fragte ich.
    »Ich schäme mich so.«

    »Das brauchen Sie nicht«, sagte ich. »Es ist schon alles lange, lange her. Eine andere Welt. Diese Dinge haben heute keine Bedeutung mehr für uns.«
    Sie sah bedrückt aus. »Sagen Sie das nicht!« Ich glaubte schon, sie würde die Hand heben, um sie auf meine Lippen zu legen. »Ich war

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