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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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völlig verschiedener Meinung. Ich glaube, daß er mich in seinem Herzen nie als den richtigen Grafen akzeptiert hat. Ich war der Repräsentant einer modernen Welt, mit der er nichts zu tun haben wollte, einer Welt, die Maschinen und Veränderungen in die angestammte Ordnung des Tals gebracht hatte. Die Eisenbahn war ein schlagender Beweis für diesen Prozeß, und er gab mir die Schuld an der Vergewaltigung der Landschaft, wie er es sah, am Wegzug der jungen Leute in die Städte, am Zusammenbruch der Disziplin. Ich war zwar der Graf, aber er konnte sich der Loyalität vieler Familien sicher sein, denn er war der Vorgesetzte der Männer gewesen, als sie ihren zweijährigen Militärdienst in der Armee absolviert hatten.

    Er starb vor vier Tagen, und Gregor führte gestern die Beerdigung durch.
    Onkel Kálmán hatte immer ein weiches Herz für Gregor gehabt. Als er noch ein Kind war, hatte ihn unser Onkel immer mit kleinen Gesten der Zärtlichkeit bedacht – seine Hand, die sich kurz auf seine Schulter legte, die ungewöhnliche Sorgfalt beim Aussuchen des Stück Fleischs, das er am Eßtisch für ihn abschnitt
    –, die Georg und ich niemals kennengelernt hatten. Merkwürdigerweise neideten wir ihm diese besondere Behandlung nicht; ohne ein Wort darüber zu verlieren, fanden wir beide, daß Gregor so wenig besaß, daß ihm eine Art Ausgleich zustand. Nach Gregors Ordination änderte sich Onkel Kálmáns Beziehung zu ihm; er begegnete Gregor mit seltener Achtung und Ehrerbietung, die er, glaube ich, nicht einmal seinem befehlenden General entgegengebracht hat. Umgekehrt verehrte auch Gregor ihn, aber auf eine stille Art, anders als Georg, und Onkel Kálmán schien seine Liebe um so mehr zu schätzen, weil sie ihm nicht leicht entgegengebracht wurde. Von mir kam natürlich überhaupt keine. Ich war der Sohn meiner Mutter und hatte keine Verwendung für einen stellvertretenden Vater. Immerhin besaß Onkel Kálmán soviel Verstand, mir nicht seine Vorstellung von väterlichen Pflichten aufzudrängen, außer wenn es um Disziplin ging, und außerdem neigte er dazu, mich dem Lesen und meinen Tagträumen in der Bibliothek zu überlassen, einen Raum, den er selten betrat, weil er sich dort unbehaglich fühlte.
    In Gregors Obhut war die Beerdigungsmesse eine merkwürdig spirituelle Angelegenheit. Alle alten Familien hatten einen Vertreter geschickt, um meinen Onkel zu ehren, und in der Kirche blieb so wenig Platz übrig, daß die Bürger der Stadt und die auf dem Anwesen beschäftigten Arbeiter stehen mußten. Sie füllten die Gänge und drängten sich bis nach draußen, und als die Zeit zum Beten gekommen war, knieten sie auf den alten Steinplatten, auf denen die Namen unserer Vorfahren eingemeißelt sind. Über unseren Köpfen wurden die Fahnen aufgezogen, die unsere Männer seit den Kreuzzügen in die Schlacht geführt hatten. Es war ein großer dynastischer Aufmarsch, und die vereinten vierhundert Stimmen waren eine dröhnende Demonstration reaktionärer Ideen im noblen Kreis der Privilegierten, für die mein Onkel eingetreten war. Wie sehr er es genossen hätte!
    Gregor – vielmehr Pater Gregor, nicht unser Freund beim Teetrinken, der uns immer mit Klatsch ergötzt – erwies ihm große Ehre. Nicht, daß Gregor Onkel Kálmán in den Himmel gehoben oder in seiner Rede irgend etwas gesagt hätte, das nicht der Wahrheit entsprach. Der Mann, den er seinem Schöpfer empfahl, war so, wie er ihn erlebt hatte, aber trotzdem beschrieb er Onkel Kálmán als einen Mann, den ich kaum wiedererkannte.
    Darüber dachte ich auf dem Weg von der Kirche nach, als ich von einem plötzlichen Schlag zu meinen Füßen aufgeschreckt wurde. Jemand hatte, während ich vorbeiging, ein Gebetsbuch fallen lassen, und es fiel mit einem klatschenden Geräusch zu Boden. Ich bückte mich, um es aufzuheben. Es gehörte der Tochter des Bürgermeisters, und sie machte einen Knicks, als ich es ihr zurückgab, aber anstatt schüchtern auf ihre Zehen zu gucken, wie ich es bei den Mädchen aus der Stadt und von den Bauernhöfen gewohnt war, fixierte sie mich mit einem direkten und durchdringenden Blick, wie ich es bis heute selten erlebt habe. Ich bin der Graf: Meine Leute sehen mich an, um sich eine Meinung über meine Stimmung oder meine Vorlieben zu bilden, so wie ein Bauer die Wolken abschätzt, um zu sehen, ob es auf sein Heu regnen wird, aber sie sehen mir nicht direkt ins Gesicht. Selbst wenn ich mich rasiere und in den Spiegel sehe, nehme ich mich kaum

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