Das geheime Leben des László Graf Dracula
diesem alten Gemäuer eingesperrt zu sein. Du brauchst Anregung, Gesellschaft.«
»Vielleicht hast du recht«, seufzte ich in einem Ton, der ausdrückte, daß ich mich nicht streiten wollte, aber nicht die geringste Lust hatte, ihrem Rat zu folgen. So sieht die glatte Oberfläche unserer Ehe aus. Elisabeth hat es nicht verdient, für meine Kasteiung bestraft zu werden. Ich darf sie nicht verletzen.
Ich darf bei dem, was ich tue, nicht ihre Würde verletzen. Ich werde sie nicht zu mir herunterziehen.
Aber Elisabeth hatte meine Gedanken auf einen Weg geschickt, den zu erforschen ich mir noch nicht gestattet hatte. Budapest ist zwar nicht Paris, aber verglichen mit meiner gegenwärtigen Situation ein verheißungsvoller Ort. Hier ist mein Leben eintönig, denn ich habe mich von all den Interessen losgemacht, die ich vor zwanzig Jahren mit so leidenschaftlicher Intensität pflegte. Die Journale der medizinischen Gesellschaften liegen noch immer in ihrer Origi-nalverpackung in einem Schrank. Ich bin zum Stillstand gekommen. Selbst die Jagd verliert ihren Reiz. Aber Budapest... ich merke, wie ich anfange, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Estelle dort in einer Wohnung einzuquartieren. Das ließe sich machen. Zum erstenmal seit hundert Jahren wirft der Besitz laufend Gewinne ab. Ich habe die Schulden bezahlt und einen beträchtlichen Betrag auf dem Bankkonto. Schon bald würde ich die Mittel besitzen, mir eine Mätresse zu halten. Das Ganze war nur noch eine Frage der Zeit und der Gelegenheit, meine Beute auszumachen und einzukreisen.
»Vielleicht sollte ich das tun«, erklärte ich ein paar Minuten später.
Elisabeth blickte erstaunt von ihrer Nadelarbeit auf. Sie hatte ihren eigenen Gedanken nachgehangen und wußte im ersten Augenblick nicht, wovon ich redete.
»Ja, das solltest du«, sagte sie ermutigend, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Ich weiß gar nicht, warum du es nicht schon früher getan hast.«
»Ich könnte ein paar Versammlungen der medizinischen Gesellschaft besuchen«, begann ich tastend, aber sie antwortete nicht. Das ist das Äußerste, was Elisabeth an Widerspruch aufbringt. »Oder vielleicht sogar einige Vorlesungen an der Universität«, sagte ich, mehr zu mir selbst, so, als würde ich laut über etwas nachdenken.
Als ich aus Paris zurückgekommen war und wir geheiratet hatten, hätte ich mich gerne in die medizinische Praxis gestürzt, hätte mich gerne abgelenkt.
Aber der Beruf des Arztes mag eine angemessene Beschäftigung für einen Zweitgeborenen sein, für einen Edelmann schickt sich diese Betätigung jedoch nicht; zu diesem Thema hat sich Onkel Kálmán ganz deutlich geäußert.
»Ich glaube, das wissenschaftliche Interesse ist eine feine Sache«, sagte Elisabeth nach einigen Minuten des Schweigens und wollte mit ihrer mäßigen Begeisterung andeuten, daß der dilettantische Umgang mit Wissenschaften als ein teures exzentrisches Hobby durchgehen könnte, daß eine ärztliche Praxis aber nicht in Betracht käme.
»Ich schätze, ich könnte mit Oberst Rado sprechen«, sagte ich.
Das Zimmer, in dem wir saßen, ist das einzige, in das jemals in ausreichendem Maß die Frühlingssonne fällt, aber als wir auf Georg zu sprechen kamen, befiel uns beide wie immer ein leichtes Frösteln. Er steht als uneingestandener Geist zwischen uns, über den wir uns aber nicht zu sprechen trauen, außer in sehr vagen und mystischen Begriffen, wodurch es zu einigen seltsamen Sprachverrenkungen kommt.
»Dem kommandierenden Offizier von Georg?« fragte Elisabeth vorsichtig.
Sie sah mich nicht an, obwohl sie neugierig gewesen sein muß, welcher Art meine Verbindung zu diesem großen Krieger war.
»Wir haben uns auf Onkels Beerdigung unterhalten. Er möchte, daß ich in irgendeinen ungarischen Club eintrete.«
»Ich wußte gar nicht, daß du dich für Politik interessierst.«
»Na ja, das tue ich auch gar nicht, nicht wirklich. Aber ich finde, daß ich es tun sollte.«
Elisabeth gab keine Antwort, sie schien mit einem besonders komplizierten Stück Stickerei beschäftigt zu sein.
»Findest du nicht?« fragte ich. »Wir können uns doch nicht ewig von den Österreichern herumschubsen lassen.«
Sie hob den Kopf und sah mit trüben Augen aus dem Fenster, und mir war, als blicke sie in die Vergangenheit. »Ja, natürlich«, sagte sie schließlich in einem Ton, den sie oft verwendete, um anzudeuten, daß sie sich genausogut mit Anmut in etwas fügen könnte, das sie sowieso nicht zu bestimmen
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