Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
Vom Netzwerk:
hatte. Darauf folgte ein leises Lächeln, das ihr völliges Einverständnis mit dem Status quo anzeigte.
    Ich nehme an, sie hält diese Selbstunterdrückung für »Treue«, aber das werde ich nie erfahren. Wir sind verschiedene Behälter, deren Inhalte sich niemals miteinander vermischen. Wovon träumst du, Elisabeth, während deine Finger mit Nadel und Faden beschäftigt sind und deine Gedanken frei herumwandern?
    Manchmal sehe ich ein inniges Lächeln auf deinen Lippen, während du nach unten auf das Stück Stoff blickst, das du in den Händen wiegst wie eine Mutter ihr geliebtes Kind.

    26. MAI 1887

    Gregor kam, um Elisabeths Geburtstag mit uns zu feiern. Die Torte war prächtig
    – so prächtig, daß sie zuerst keiner von uns anschneiden wollte. Statt dessen gingen wir um das eßbare Bauwerk herum, blieben von Zeit zu Zeit stehen, um uns die Verzierungen oder irgendwelche architektonischen Feinheiten anzusehen und Vermutungen über ihren wahren Zweck anzustellen.
    »Ein Altar für das neue Heidentum«, schlug Gregor vor.
    »Ein Denkmal für einen verstorbenen Prinzen«, sagte Elisabeth leise.

    »Das Behältnis für eine Plakette, die an die Entdeckung eines neuen Landes erinnert«, sagte ich.
    Elisabeth war entzückt von der Torte und auch gerührt, daß ich mir ihretwegen soviel Mühe gemacht hatte. Sie sah mich mit einer solchen tiefen Zuneigung an, was mich daran erinnerte, daß ich wieder einmal einen Versuch unternehmen sollte, meinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Am Ende blieb es mir überlassen, das Messer in das makellose Weiß der Torte zu stoßen. Innen war sie weich und dunkel, voll von saftigen Korinthen, Nußstückchen und Scheiben aus kandierten Schalen, die auf der Zunge den Geschmack des Sommers auslösten.
    »Elisabeth hat mir erzählt, daß du anfängst, dich für Politik zu interessieren«, sagte Gregor. Er hat die Angewohnheit, beim Teetrinken im Salon mit der Tasse und der Untertasse in der Hand herumzugehen oder, wie in diesem Fall, mit einem Kuchenteller, den er dicht an sein Kinn hält, um sich ohne große Umstände die Stücke mit der Gabel in den Mund schieben zu können.
    »Ich glaube, es wird Zeit, daß ich mich mehr darum kümmere, wie sich die Dinge entwickeln.« Ich fragte mich, wann sie Gelegenheit gehabt hatten, über unser gestriges Gespräch zu sprechen. Wieviel mochte Elisabeth Gregor im Beichtstuhl über mich anvertraut haben?
    Er sah mich mit einem skeptischen Lächeln an. »Zusammen mit der alten ungarischen Garde?«
    »Warum nicht?«
    »Irgendwie kann ich mir dich nicht als Verbündeten dieser alten Fossilien vorstellen.«
    Das ist die Schwierigkeit, wenn man versucht, jemanden an der Nase herumzuführen, mit dem man dreißig Jahre lang befreundet gewesen ist: Er kennt einen viel zu gut, um darauf hereinzufallen, auch wenn er nicht genau weiß, welcher Teil der Geschichte stimmt und welcher nicht.
    »Ich finde, wir Ungarn müssen uns gegen die Habsburger erheben«, sagte ich.
    »Aber das ist doch die alte Geschichte«, vertrat Gregor beharrlich seinen Standpunkt, während er ein Stück Zuckerguß durch die Luft schwenkte. »Wir müssen über den Nationalismus hinaus denken.«
    »An Sozialismus?«
    »Nein, das habe ich nicht gesagt.«
    »Aber wenn man kein Nationalist ist, was gibt es dann anderes als den Sozialismus?«
    »Ich glaube, daß man sich um das Wohlergehen seiner Mitmenschen kümmern kann, ohne ein Sozialist zu sein.«
    »In materieller Hinsicht ist es meinen Leuten noch nie bessergegangen.«
    »Das ist nicht, was ich höre«, sagte Gregor.
    »Du hörst in deinem Beichtstuhl eine Menge Dinge.« Ich hatte den Eindruck, als würde Elisabeth meinem Blick ausweichen, aber ich war mir nicht ganz sicher. »Aber du hast nicht die geringste Ahnung, ob sie auch stimmen.«
    Gregor warf den Kopf zurück und lachte gutgelaunt. Wenn wir uns streiten, ist immer er derjenige, der voraussieht, daß wir in einer Sackgasse stecken, oder der erkennt, daß unser Gedankenaustausch in Bahnen gerät, die unser spielerisches verbales Gefecht in eine ernste Schlägerei verwandeln wird.
    »Na schön, ich weiß nicht, ob mir die Leute die Wahrheit sagen. Ich habe noch nie den Versuch unternommen, den Unterschied herauszufinden. Wenn mich die Leute anlügen, dann tun sie es eben. Ich glaube nicht, daß das am Ende etwas ändert.«
    »Denn am Ende wird die Wahrheit siegen«, sagte Elisabeth. In ihren Augen schimmerte ein seltsames Licht.
    Gregor und ich führten diese Streitgespräche

Weitere Kostenlose Bücher