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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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schlenderte zu meiner Enttäuschung davon und verschwand hinter dem Vorhang.
    »Ich werde für Sie ein Meisterstück anfertigen«, sagte Theissen. Er sprach mit einer solchen Inbrunst, daß ich schon fürchtete, er könnte mich an den Schultern packen und mich schütteln.
    »Estelle!« rief Frau Theissen. Und nach einer kleinen Pause erklärte die gute Frau stolz: »Sie ist eine Künstlerin!« Aber ich glaube, dies sagte sie auch als Rechtfertigung für das Benehmen ihrer Tochter.
    Estelle kam wieder zu uns zurück, und ich sah, daß sie ein Skizzenbuch geholt hatte, das sie jetzt auf den Tresen legte mit der Aufforderung, es mir anzusehen.
    Sie hatte wirklich außerordentlich großes Talent, sowohl im Hinblick auf ihre zeichnerische Perfektion als auch auf das Sujet. Wie Dichter vielleicht Welten beschreiben würden, die niemals existiert haben und auch niemals existiert haben können, und wie Künstler erhabene Landschaften gemalt haben würden, die in ihrer Phantasie entstanden sind, so hatte Estelle Torten gemalt. Es waren ungewöhnliche Torten, aus einem anderen Zeitalter oder aus einem anderen Reich. Manches waren kunstfertige Phantasiegebilde im romantischen Rokokostil; andere waren architektonische Ausschweifungen in gotischer Ausführung mit ausgeklügelten Details, die den technischen Möglichkeiten von Teig, Zuckerguß oder Mandelbrei zu trotzen schienen.
    Ich war sprachlos. »Ich hatte ja keine Ahnung«, war alles, was ich schließlich herausbrachte.
    Ihre Eltern tauschten stolze Blicke aus. »Jetzt wissen Sie, was ich gemeint habe, als ich sagte, sie wäre eine Künstlerin«, sagte Frau Theissen.
    »Aber können diese wunderbaren Torten auch wirklich hergestellt werden?«
    wagte ich vorsichtig zu fragen.
    Der Bäcker lachte. »Sie ist die Architektin, und ich bin der Erbauer«, sagte er.
    »Es gefällt ihr, mich auf die Probe zu stellen, aber sie muß mich erst noch ausstechen.«
    »Wenn Sie erlauben, könnte ich für Sie etwas Besonderes entwerfen«, bot Estelle an.
    »Für meine Frau«, korrigierte ich sie.
    »Dazu müßte ich zuerst wissen, was Sie sich vorstellen und was Ihnen gefällt.«
    »So, als würden Sie für ein Porträt Modell sitzen, Herr Graf«, warf ihre Mutter ein.
    »Also, das wäre wunderbar, aber haben wir dazu noch genügend Zeit? Ihr Geburtstag ist in einer Woche.«
    »Wenn Sie die Zeit aufbringen können, mir Anweisungen zu geben, während ich den Entwurf mache, werden wir bestimmt fertig werden.«

    Ihre Einladung klang irgendwie zweideutig. Vielleicht war es ihre etwas rauhe Stimme, die mich dazu brachte, mir vorzustellen, wie ich mich über sie beugte, während sie die Skizze machte, wie ich mich über ihre Schulter lehnte, um sie auf dem Papier auf ein Detail hinzuweisen, wie mir der Duft ihrer Haare in die Nase stieg, die weiche Haut so dicht vor mir, daß sie glänzte, während das Sonnenlicht die winzigen blonden Haare an ihrem Nacken hervorhob. War es der Zauber, der von ihr ausging und auf mich wirkte? Oder war es das Nahen des Frühlings, der die Säfte aufsteigen läßt? Oder ist es die Wiederaufnahme meines Lebens, die mit dem Offnen dieses Buches begonnen hat?
    »Ich werde Zeit haben«, versprach ich.

    24. MAI 1887

    Wir haben abgemacht, daß ich heute zurückkommen werde, um Estelle Anweisungen für die Torte zu erteilen. In meinem Bauch breitete sich das prickelnde Gefühl erregter Erwartung aus, das ich den ganzen Morgen vor mir selbst zu verbergen versuchte. Trotzdem, die Anzeichen sind vorhanden, und ich kann nur hoffen, daß sie sonst niemand bemerkt. Ich habe mir von Brod die Haare schneiden lassen, da sie schon lang waren und ungepflegt wirkten, und habe mich mit einer scharfen Schere über meinen Schnurrbart hergemacht, so daß sein Rand über meiner Oberlippe gerade und frisch gestutzt ist. Ich war noch damit beschäftigt, als ich im Spiegel ganz zufällig meine Augen sah. Es war eine jener Gelegenheiten, bei denen man in ein bekanntes Gesicht sieht und an seiner Stelle jemand Fremden wahrnimmt.
    Ich entdeckte in den Augen dieses fremden Mannes ein schurkisches Zwinkern, aber sein Mund bewegte sich nicht, um das liebenswürdige Grinsen hervorzubringen, das (wie man mir sagt) ein so charmantes Merkmal des jungen Mannes gewesen ist, der den ersten Teil dieses Tagebuchs geschrieben hat. Der Mund ist erstarrt. Die Lippen sind hart. Die hohen slawischen Backenknochen stehen weiter vor als früher, und von den hohlen Wangen bis zum Kinn verläuft eine tiefe

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