Das geheime Leben des László Graf Dracula
Mätresse aushaken ließ?
»Mir macht das alles viel weniger aus als Ihnen«, sagte sie und warf den Kopf zurück.
Schweigend gingen wir weiter. Ich fürchtete, daß meine Tolpatschigkeit den Zauber gebrochen hatte.
Sie berührte meinen Arm, als wollte sie mich aufwecken, und lachte fröhlich.
»Haben Sie geglaubt, ich wäre naiv?« fragte sie.
»Wie sollte ich das wissen?« erwiderte ich.
»Nun, das bin ich nicht.«
»Darüber bin ich froh.«
»Glauben Sie mir?«
»Ja, natürlich.«
Zum Beweis stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um mir einen Kuß zu geben.
Sie öffnete sofort den Mund, um meine Zunge zu sich einzuladen. Ich spürte ihre Angst, als ich mich ganz langsam vorwärts tastete. Ihre Zunge war weich und zögernd, und wenn ich sie berührte, hielt sie, aus Leidenschaft oder in Panik, die Luft an. Ich drückte sie fest an mich, um sie zu beruhigen, um ihr meinen Willen aufzuzwingen, und dann fühlte ich, wie sie meinen Druck unerschrocken und mit steigender Erregung, die mich unbesonnen werden ließ, erwiderte.
Dann machte sie sich ganz plötzlich wieder los und drückte ihr Gesicht an meine Schulter. »Ich habe Angst, daß jemand kommt«, sagte sie.
Wir waren an der Stelle angekommen, an der die Allee zu Ende war und ein schmaler Pfad durch dichtes Unterholz führte, das neben dem Fluß wuchs. Wir drehten uns um, obwohl ich sie gern noch tiefer in diesen feuchten grünen Tunnel geführt hätte. Wir gingen in die entgegengesetzte Richtung, unter den geräumigen Bogengängen hindurch, die die emporstrebenden Kastanien bildeten, bis zu der Stelle, von der aus wir in der Ferne die weißen Steine der Brücke im letzten Tageslicht schimmern sahen.
»Die Sache mit den du Barrys«, begann ich.
Sie kicherte schadenfroh. »Hat Ihnen das gefallen?«
»Ja. Sehr originell.«
»Ich habe ihnen erzählt, daß Sie gesagt hätten, die du Barrys hätten eine Stelle für mich, und daß ich in zwei Wochen bei ihnen anfangen würde.«
»In zwei Wochen.«
»Ich weiß. Ich kann es selbst kaum erwarten. Aber es muß glaubhaft klingen.
Wir könnten es aber auch in einer Woche machen, wenn Sie absolut nicht warten können.«
»Nein, zwei sind besser. Aber dann bleibt uns nicht gerade viel Zeit... um Vorkehrungen zu treffen.«
Sie machte die Augen zu und lächelte selig. »Ich schwärme für Vorhänge, im Salon in kirschroter Farbe, aber sonst in einem sehr, sehr kräftigen Rosa.« Sie machte die Augen wieder auf. »Glauben Sie nicht, daß das hübsch aussehen würde?«
»Jedes Zimmer, in dem du bist, wäre wunderschön.«
»Das sagen Sie nur so!«
»Willst du nicht László zu mir sagen? So heiße ich, weißt du.«
Sie schien sehr gerührt. »László«, sagte sie schüchtern. Ich glaube, wir hatten beide das Gefühl, daß eine Grenze überschritten war. »László«, sagte sie noch einmal und berührte mit den Fingerspitzen meine Lippen, als wäre sie eine Blinde, die gerade die Bedeutung eines neuen Wortes gelernt hat. »Jetzt muß ich aber gehen.« Ich wollte sie noch einmal an mich drücken, bevor wir uns trennten, aber sie sah in das kleine mit Perlen besetzte Täschchen, das sie bei sich hatte. »Es ist schon spät. Ich muß mich beeilen. Hier ist ein Brief, den ich im Namen von Madame du Barry geschrieben habe. Aber er muß von Budapest abgeschickt werden.«
Ich betrachtete den Umschlag und sah, daß er an ihre Eltern adressiert war.
Als ich wieder aufblickte, lief Estelle schon zur Brücke. Sie hatte das Kleid hochgehoben, um beim Laufen ihre Beine frei zu haben, und sah, selbst in diesem etwas plumpen Zustand, mit den weißen Knickerbockern, deren unterer Rand unter dem Kleid hervorragte, elegant und anmutig aus.
10
18. JUNI 1887
enau zum richtigen Zeitpunkt hat mir Oberst Rado ein Telegramm G geschickt, um mich über ein Treffen der Ungarischen Liga zu informieren, an dem ich teilnehmen soll. Nicht: »Würde mich freuen, das Vergnügen zu haben, Ihre reizende Gesellschaft zu genießen« oder »Kommen Sie auf jeden Fall, wenn Sie können, mein Freund«; nein, es ist ein Befehl. Diese Sache ist mir zu militärisch, und ich fürchte, Rado und seine Freunde nehmen sich selbst ein bißchen zu ernst, aber was für ein glänzender Vorwand die Liga andererseits für häufige Besuche in Budapest abgibt! Anscheinend hat er meinetwegen ein besonderes Treffen einberufen, bei dem noch dazu irgendeine Einführungs-zeremonie stattfinden soll, das Ablegen eines Eides und Gott weiß, was sonst noch für
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