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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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redest du?«
    »Ich benutze seit Jahren ihr Parfüm!«, verriet ihm Michael, der jetzt laut wurde. »Ich brauche Rachel! Ohne sie habe ich noch nie irgendetwas zustande gebracht!«
    Fabien versuchte, die richtigen Worte zu finden.
    »Weißt du, du trägst Rachel doch in dir.«
    »Sie ist in mir, sie ist um mich herum … Sie ist überall!«
    »Wie denn das?«
    »Es ist wegen dieser verfluchten Melodie!«
    »Meinst du …«
    »Das Violinstück, das ich heute Abend spielen wollte. Die rätselhafte, geheimnisvolle Melodie«, erklärte er mit einem Anflug von Ironie.
    »Was hat dein Werk denn mit Rachel zu tun?«
    Michael atmete keuchend ein.
    »Ich habe die Melodie vor zehn Jahren komponiert«, begann er. »Und während ich sie spielte, wurde mir bereits klar, dass es sich um ein einzigartiges Stück handelte. Es war mit keiner meiner bisherigen Kreationen vergleichbar. Am Anfang fragte ich mich noch, ob ich vielleicht unbewusst irgendeine fremde Komposition abgekupfert hatte. Als mir klar wurde, wie absolut perfekt das Stück war, konnte ich es kaum glauben. Mir kam sogar der Gedanke, dass vielleicht irgendein Gott die Melodie in einem anderen Universum erschaffen und mich dann persönlich auserkoren hatte, um sie in diese Welt zu bringen.«
    »Das hast du nie erwähnt«, warf Fabien ein, als Michael kurz verstummte.
    »Ich musste Rachel sofort davon erzählen«, fuhr dieser fort. Für einen Moment spielte ein Lächeln um seine Lippen. »Ich erinnere mich noch daran, dass sie an dem Tischchen vor der Balkontür saß und an einer ihrer Geschichten schrieb. Ich habe ihr die Melodie gleich dort vorgespielt. Sie war wie vom Donner gerührt, und als ich den Bogen sinken ließ, blieben wir ein paar Minuten stumm und sahen uns einfach nur in die Augen. Wir waren wie gefesselt, ich stand da mit meiner Geige, und sie hielt den Füller noch in der Hand.« Michaels Tonfall veränderte sich. »Am nächsten Tag bekamen wir die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Was darin stand, weißt du ja. Es machte mich bald wahnsinnig. Ich war völlig besessen von der Idee, dass ihre Krebserkrankung der Preis war, den ich für diese Melodie zahlen musste.«
    »Wie kannst du so etwas nur …«
    »Du hast sie ja nicht gehört«, unterbrach ihn der andere ernst.
    »Michael …«
    »Entschuldige … Rachel wurde auch immer wütend, wenn ich das ihr gegenüber angedeutet habe. Sie war eben in allem besser als ich. Sie erkannte die Dinge mit solcher Klarheit … Sie sagte immer, dass jeder sein Leben hingeben würde, wenn er dafür nur so etwas Schönes hören durfte.« Vor lauter Rührung spürte Fabien einen Kloß im Hals. Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Ich habe geschworen, dass ich die Komposition nie wieder spiele. Das brachte sie in Rage, aber irgendein Opfer musste ich ihr einfach darbringen. Ich würde auf dieser Welt verweilen, während sie … Diese verfluchte Melodie sollte nie wieder an irgendein Ohr dringen, sei es nun menschlich oder göttlich.«
    »Erzähl weiter«, forderte sein Freund ihn auf.
    »Rachel fügte sich meiner Entscheidung, aber sie stellte eine Bedingung. Sie bat mich darum, das Stück nach ihrem Tod noch einmal zu spielen. Nur ein einziges Mal.« Eine verstohlene Träne rann ihm übers Gesicht und fiel auf sein weißes Hemd. »Sie hat gesagt, die Melodie sei ihr Wegweiser, die Noten würden ihr im Himmel einen magischen Pfad ebnen und ihre Seele sicher ins Paradies geleiten.«
    Er brach in Tränen aus.
    »Michael …«
    »Jetzt ist Rachel schon fast zehn Jahre tot, und ich habe es immer noch nicht über mich gebracht, das Stück wieder zu spielen! Ich kann sie nicht ziehen lassen, ich brauche sie hier bei mir, sie muss mir dabei helfen, diese Einsamkeit zu ertragen, die mich noch um den Verstand bringt. Dabei weiß ich, dass sie gehen wollte, es hat ja keinen Sinn, sich an das Diesseits zu klammern. Wie selbstsüchtig ich bin, ist wohl kaum zu ermessen. Ich bin so ein Egoist!«
    »Jetzt sag doch so was nicht …«
    »Aber es stimmt ja. Und ich bin mir dessen wohl bewusst, gleichzeitig komme ich jedoch nicht gegen mich selbst an. Oh Gott! Rachel hat mich darum gebeten, sie fleht mich jeden Tag an, aber wenn ich die Melodie spiele, dann werde ich sie für immer verlieren.«
    Die beiden Männer umarmten sich lange.
    »Mach dir keine Sorgen …«, flüsterte Fabien ihm ins Ohr. »Rachel wartet auf der Mondinsel auf dich.«
    Beide schwiegen kurz. Im Konzertsaal rissen im vierten Satz leidenschaftliche

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