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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Michael spürte einen Kloß im Hals. Er drehte sich um und begrüßte die sechsundneunzig Musiker des Pariser Symphonieorchesters. Auf ihren Gesichtern war Dankbarkeit zu lesen, Zuneigung, Faszination, Respekt. Nach und nach verstummte der Applaus. Man vernahm nur noch das leise Quietschen der gummierten Stuhlbeine auf den Bühnenbrettern und das dumpfe Dröhnen der Violoncelli, als sie auf dem Boden aufgesetzt wurden. Einige Musiker warfen noch einen raschen Blick auf die Partitur, andere schlossen die Augen für ein kurzes Stoßgebet, ein Versprechen oder eine persönliche Widmung. Nach einer altbekannten Geste kehrte völlige Stille ein, und alle Augen ruhten nun auf dem Dirigenten.
    Langsam hob Michael die Arme bis auf halbe Höhe.
    So verweilte er länger als erwartet.
    Niemand wagte es auch nur zu atmen.
    Dann ließ er den Taktstock fallen.
    Die Musiker sahen fassungslos zu, wie der Stab aus Zedernholz auf dem Podium aufschlug. Mit leerem Blick verharrte der Dirigent unbewegt wie eine Wachsfigur, um die herum die Zeit stillsteht. Vor Hunderten von bestürzten Augenpaaren verließ Michael die Bühne. Dabei wirkte er zwar angespannt, aber auch unglaublich stoisch. Nur der Klang seiner Schritte begleitete ihn. Sekunden später schob er sich am schwarzen Bühnenvorhang vorbei und verschwand im Durcheinander aus Scheinwerfern und Kabeln, zwischen den riesigen Kulissen des dunklen Sees einer Fantasiewelt.
    Während das komplette Opernhaus von einer Woge immer lauter ertönenden Murmelns erfasst wurde, öffnete Michael hinter der Bühne eine Tür und stieg taumelnd eine Treppe bis zum obersten Stock hinauf. Er huschte eilig den Gang mit ockergelben Wänden entlang und flüchtete in einen Raum, der im Allgemeinen als »Rollschuhbahn« bezeichnet wurde, einen runden Saal unter der Kuppel des Gebäudes, in den Choreographen sich häufig mit ihren Tänzern zurückzogen, um ungestört an letzten Feinheiten zu arbeiten.
    Von dort aus konnte man hinter großen Bullaugen, durch die jetzt sanftes Mondlicht in den Raum fiel, die Dächer des Zentrums von Paris betrachten. Hier fühlte Michael sich sicher. Er öffnete den Knopf seines Kragens, ließ sich auf die gewachsten schwarzen Dielenbretter sinken und begann zu husten und zu schluchzen.
    Im Hintergrund waren die ersten Takte von Dvořáks Symphonie Aus der Neuen Welt zu erahnen. Kurze Zeit später vernahm er draußen Stimmen, und jemand öffnete vorsichtig die Tür. Es war Fabien Rocher, gefolgt von dem Sicherheitschef des Theaters und einigen Polizisten.
    »Ich kümmere mich um ihn«, beruhigte Fabien sie.
    »Lassen Sie mich durch«, befahl ein Inspektor, der sich der Situation annehmen wollte.
    »Das hier ist mein Opernhaus«, stellte sich ihm der Direktor mit der richtigen Mischung aus Respekt und Unnachgiebigkeit entgegen. »Und das ist Michael Steiner. Mein Gott, was für ein Problem haben Sie?«
    Er machte dem Inspektor, der nur mit einer resignierten Geste antwortete, die Tür vor der Nase zu und ließ sich neben dem Dirigenten auf dem Fußboden nieder. Ein paar Minuten lang betrachteten sie ihr dunkles Abbild im großen Spiegel neben der Tür. Niemand sagte ein Wort. Durch die Scheiben war leise das Dröhnen der Hörner zu vernehmen. Die Kuppel des Raumes schwang bei jedem Paukenschlag sanft mit.
    »Es tut mir leid«, brachte Michael schließlich hervor.
    »Dein Ersatz ist ein guter Dirigent«, beruhigte ihn Fabien. »Aber falls du an irgendeinem Punkt wieder übernehmen möchtest …«
    Michael warf ihm einen Blick voller Hilflosigkeit zu.
    Fabien wurde klar, dass sein Freund heute Abend nicht mehr ans Dirigentenpult treten würde.
    Niemand würde seine geheime Melodie zu hören bekommen.
    »Wegen der Presse wird uns schon irgendwas einfallen, überlass das ruhig mir«, erklärte er behutsam. »Ich rufe meinen Fahrer, damit er dich ins Hotel bringt.«
    Michaels Fassade schien in sich zusammenzustürzen. Er schlug die Hände vors Gesicht.
    »Es ist nur …«, schluchzte er. »Also …«
    »Du musst mir gar nichts erklären«, beteuerte Fabien, der sicher war, dass seinen Freund viel zu schmerzhafte Dinge bekümmerten, als dass er in diesem Moment darüber sprechen konnte.
    »Aber vielleicht liegt genau da das Problem«, fuhr dieser fort, das Gesicht noch immer in den Händen vergraben. »Ich habe schon so lange geschwiegen …« Er streckte die Arme aus. »Ich kann mich ja noch nicht einmal von ihrem Duft trennen!«
    Damit hatte Fabien nicht gerechnet.
    »Wovon

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