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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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gewartet habe. Zwei Tage? Drei? Er schüttelte mich am Arm. Dann stürmte er wie ein Verrückter in sein Atelier, warf sich auf den Boden und scharrte in einem Loch. Er hatte seine Statuen vergraben, die, die ihm die liebsten waren. Sie waren noch da. Er war unendlich erleichtert, denn er hatte so viele geplünderte Häuser gesehen. Er war sicher, dass er das mir verdankte, und fragte mich nicht mal, was ich bei ihm tat. So, als wäre es ganz normal, als hätte ich mich vor seine Tür gelegt, um seine Schätze zu hüten wie ein guter Hund. Er war zu erschüttert von dem, was er erlebt hatte, um mir irgendwelche Fragen zu stellen.
    Er hatte Paris im letzten Moment verlassen. Als es zu gefährlich wurde zu bleiben. Als kein Zweifel mehr bestand, dass die Deutschen einmarschieren würden. Er hatte sein Fahrrad genommen und war mit seinem Bruder Diego losgefahren. Sie wollten bis Bordeaux und sich dort nach Amerika einschiffen. Aber auf den Straßen herrschte Chaos. Tausende und Abertausende flüchteten. Stukas rasten über ihre Köpfe hinweg. In Etampes hatte gerade ein Luftangriff stattgefunden. Nichts als Ruinen und schreiende Menschen. Überall zerfetzte Körper, ein ganzer Bus voll verbrannter Kinder.
    Alberto und sein Bruder hielten nicht an. Sie fuhren auf ihren Rädern durch die Blutlachen auf der Straße. Überall herrschte das Grauen. Als Alberto später zwischen anderen Flüchtlingen in einem Straßengraben lag, hatte er keine
Angst mehr zu sterben. Ihm, der so oft an den Tod dachte, gab die Anwesenheit der anderen Mut. Wenn jemand sterben musste, dann lieber er als ein anderer.
    In vier Tagen schafften sie knapp dreihundert Kilometer. Sie waren der allgemeinen Bewegung gefolgt und hatten sich von der Straße nach Bordeaux entfernt. Sie erreichten Moulins, aber am Nachmittag des nächsten Tages waren die Deutschen da. Es war aus, die Flucht unmöglich.
    Da beschloss Alberto, sofort nach Paris zurückzukehren. Wenn er schon gefangen genommen werden sollte, dann lieber in seinem Atelier. Die Rückfahrt wurde noch schlimmer. Die Straße war versperrt von Autos, Leichen, Bergen von zurückgelassenen Gepäckstücken. Er sah den abgeschnittenen Kopf eines bärtigen Mannes, den Arm einer Frau mit einem Armband aus grünen Steinen am Handgelenk, Kadaver aufgedunsener Pferde. Der Gestank war unerträglich. Die erste Nacht verbrachten sie in einem Feld nahe der Straße. Der Leichengeruch war so stark, dass sie nicht schlafen konnten. Sie fuhren weiter, und dann fand er mich schlafend vor seiner Tür.
    Das war seine Geschichte. Und ich, was tat ich da eigentlich?
    Die Frage kam zu spät. Ich dachte nur noch an eins.
    Hatte sich Maman ein smaragdgrünes Armband gekauft?
    Hatte sich Vater einen Bart wachsen lassen?
    Ich war voller Panik. Und was konnte ich ihm schon sagen nach all dem Entsetzlichen, was er gerade erzählt hatte?
    Ich habe keine einzige Leiche gesehen. Aber deine Freundin hat mich vor die Tür gesetzt, nachdem sie mich sechs Monate eingesperrt und mir nicht mal gesagt
hat, dass die Deutschen einmarschieren, verstehst du, das wäre nicht gut für ›ihr Kind‹ gewesen ... Und ich habe nichts gemerkt. Das Einzige, was zählte, war mein Kind ... Welches Kind? Ach ja! Welches Kind? Natürlich das, das ich für sie ausgetragen habe, Herrgott! Es heißt Louise. Aber wenn du zu ihr gehst, wird sie dir sagen, dass es nicht mein Kind ist, sondern ihres, dass ich vollkommen verrückt bin und es ihr wegnehmen will, dass ich immer schon eifersüchtig auf sie war. Und wenn du ihre Freunde fragst, werden dir alle sagen, dass ich lüge, dass schließlich alle gesehen haben, dass sie schwanger war ...
    Das konnte ich ihm nicht sagen. Er würde mir nicht glauben. Ich schloss die Augen. Wenn die Deutschen einmarschiert waren, hatte ich vielleicht gar nicht entbunden. Vielleicht war das alles nur der Schock. Ein Trauma.
    Der Abgrund zwischen meinen Gefühlen und dem, womit der Rest der Welt kämpfte, war so tief, dass ich selbst an dem zu zweifeln begann, was ich erlebt hatte. Aber meine schmerzenden Brüste bewiesen mir, dass Louise durchaus existierte. Was hätte ich tun sollen? Alberto zeigen, dass die Milch aus meinen Brüsten rinnt? Meine Schenkel spreizen? Damit er sieht, dass es zwar nicht die Straßen voller Blut sind, die er entlanggefahren ist, aber dass es auch nicht gerade appetitlich aussieht? Ehrlich gesagt habe ich überhaupt nicht daran gedacht.
    Hat sich Maman ein smaragdgrünes Armband gekauft?
    Hat sich

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