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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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Vater einen Bart wachsen lassen?
    Ich musste so schnell wie möglich nach Hause.
    Ich bat Alberto um sein Fahrrad. Aber er wollte mich nicht allein fahren lassen, weil es zu gefährlich war. Außerdem
fand er mich so blass. Er fragte, ob ich mich gesund fühlte.
    Alberto konnte nicht wissen, dass ich meine Schmerzen nicht mehr spürte. Dass ich nichts sehen würde. Nicht mal die Schweine, die in den Leichen wühlten. Dass ich vor nichts Angst haben würde. Dass man mir meine Tochter weggenommen hatte und meine Eltern womöglich tot waren.
    Ich habe gewartet, bis er eingeschlafen war, und bin abgehauen. Ich würde ihm sein Fahrrad zurückbringen. Er brauchte es nicht so dringend wie ich. Er hatte seine Statuen wiedergefunden. Ich musste meine Eltern wiederfinden ...«

Louise war am 16. Mai 1940 zur Welt gekommen.
    Mein Geburtstag ist der 28. Juni 1940.

    Ich hatte solche Angst, diese Briefe würden von mir sprechen.

    Aber mein Vater war kein Journalist. Nach dem Krieg hatte er eine Druckerei geführt.
    Gut, meine Großeltern waren vor meiner Geburt gestorben, aber ich war nicht die Einzige auf der Welt, die ihre Großeltern nicht kennengelernt hatte. Mein Kind würde seine auch nicht kennen.
    Und vor allem hatte ich einen Bruder, meinen geliebten Pierre, der schönste Beweis, dass meine Mutter nicht unfruchtbar war.

    Am Abend würde ich mit Nicolas essen, es war das erste Mal, dass ich ihn nach all den Wochen wiedersah. Ich würde ihm die Geschichte erzählen, und er würde mich ordentlich auslachen. Du hast immer nur Romane im Kopf, würde er sagen.
    Würde ich den Mut finden, ihm zu antworten, dass ich im Moment eher Kinder im Kopf hatte?
    Ich konnte es nicht mehr lange vor ihm verbergen, selbst die weitesten Pullover würden bald nicht mehr reichen. Wenn er hoffte, eine Frau mit flachem Bauch in sein
Bett zurückzuholen, würde er unweigerlich enttäuscht sein.
    Schwangerschaft heißt für Männer vor allem, dass ihnen der Körper einer Frau geraubt wird.

    »Mein Vater saß in der Küche. Als ich hereinkam, sprang er auf. Aber er wartete nicht auf mich.
    Maman war verschwunden.
    Er hatte überall im Dorf herumgefragt, und niemand konnte ihm etwas sagen. Offenbar war sie mit den anderen geflohen. Als er nach Hause gekommen war, war das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Die Flüchtlinge hatten sogar die Kaninchenställe geplündert.
    Mein Vater, der unverbesserliche Kommunist, war verhaftet und eingesperrt worden und erst seit zwei Wochen wieder frei.
    Am 6. Juni 1940 hatten die Wärter alle Gefangenen im Hof zusammengetrieben. Die Regierung wollte nicht, dass sie den Deutschen in die Hände fielen, die sie sicher freigelassen hätten, weil die Kommunisten seit dem Hitler-Stalin-Pakt angeblich bei den Nazis gut angeschrieben waren. Sie wurden in ein anderes Gefängnis gebracht und mussten den weiten Weg dorthin laufen, die Wärter schlugen auf sie ein und brüllten herum.
    Am späten Vormittag, als sie gerade durch Paris liefen, stieß ihn plötzlich einer der Bewacher aus der Reihe und sagte ihm, er solle machen, dass er davonkomme, diese Chance ergebe sich kein zweites Mal. Mein Vater war frei, er konnte sich nicht erklären, warum, aber er war frei, und das allein zählte.
    Ich verstand nichts von dem, was er mir erzählte. Ich hatte
mir keine Sekunde lang vorgestellt, meine Eltern könnten getrennt werden. Womöglich war Maman eine der Leichen, an denen ich so schnell wie möglich vorbeigeradelt war, um nach Hause zu kommen ...
    ›Deinen Eltern geht es gut.‹ Madame M. hatte mir immer die gleiche Botschaft überbracht. Verdammte Lügnerin! Von wegen, Jacques würde auf sie aufpassen.
    Wenn sie mir gesagt hätte, dass Vater im Gefängnis war, wäre ich auf der Stelle nach Hause, zu meiner Mutter zurückgekehrt. Sie wusste es. Nichts hätte mich davon abhalten können. Weder sie noch meine Schwangerschaft.
    Ich hatte also recht gehabt, mich über ihr Schweigen zu wundern. Ich hatte gedacht, dass mein Vater von seinem Zorn gefangen ist, aber er war von der Polizei gefangen. Ich hatte gedacht, dass meine Mutter ihre Tage damit verbringt, mich zu verteidigen. Aber sie hatte sie damit verbracht, sich vor sich selbst zu verteidigen, um mir nicht zu schreiben und nicht ›meinen Aufenthalt in Collioure‹ zu verderben, den sie sich wunderbar vorstellte. Meine vorzeitige Heimkehr würde Vater nicht zurückbringen, das hatte sie sich wohl wieder und wieder gesagt. Deshalb hatte sie mir nicht geschrieben. Sie dachte,

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