Das geheime Prinzip der Liebe
L’Escalier ging.
Wir würden vorerst in N. bleiben, damit Annie nicht zu lange ohne ihre Eltern war, und erst abfahren, wenn ihre Schwangerschaft sichtbar würde.
Als ich am 7. November den ersten Brief von Paul bekam, hatte ich genug Zeit gehabt, um meinen Entschluss zu fassen. Ich wusste genau, was ich tun würde. Es war nicht genug, Annies Schwangerschaft zu verbergen. Ich musste sozusagen für alle sichtbar selbst schwanger sein.
Ich schrieb Paul, dass ich nach Paris zurückkehren und Annie mitnehmen würde, ich brächte es nicht fertig, eine so liebenswerte Person zu verlassen. Absatz. Sie würde mir in diesen so besonderen Monaten Gesellschaft leisten. Absatz. Ich hätte mir nie träumen lassen, ihm die unglaubliche Neuigkeit, die ich ihm so gern von Angesicht zu Angesicht verkündet hätte, unter diesen Umständen mitzuteilen. Absatz. Ich sei schwanger.
Der einzige Weg zu verhindern, dass man je meine Mutterschaft in Frage stellte, bestand darin, meine Schwangerschaft nach außen hin zweifelsfrei durchzusetzen. Ich musste
mich schützen. Ich wusste nicht, welche Versprechungen sie einander während ihrer Zärtlichkeiten gemacht hatten, und ich wollte nicht, dass eines Tages ihr Wort gegen meines stünde.
Zum Glück hatte ich Paul in der Nacht vor seiner Abreise nicht von mir gestoßen. Obwohl die Kriegserklärung für mich eine unsagbare Erleichterung bedeutete, war ich tief bestürzt bei dem Gedanken, ihn Monate, vielleicht Jahre oder überhaupt nicht mehr zu sehen. So hatte ich mich in die Arme schließen lassen. Vielleicht auch, weil ich die Letzte in seinem Bett sein wollte, ein kläglicher Triumph, aber doch eine Genugtuung. Ich hatte Annie nicht gänzlich angeschwindelt, Paul hatte wirklich mit mir geschlafen. Allerdings nicht wie ein verliebter Mann, der in den Krieg zieht. Nur wie ein Mann, der in den Krieg zieht.
Als ich Annie vorschlug, mit mir nach Paris zu gehen, stimmte sie sofort zu. Überhaupt hat sie in diesen sieben Monaten allem zugestimmt, sogar meinem Verbot, aus dem Haus zu gehen. Ich muss gestehen, dass ich bei jeder Entscheidung, die ich traf, so tat, als hätte ich sie mit Paul abgestimmt . Ich nutzte ihre Verliebtheit hemmungslos aus, um sie von allem zu überzeugen.
Da der Krieg nicht wirklich ausbrach, war die Atmosphäre in Paris inzwischen wieder viel einladender. Bei den Menschen hatte sich wieder ein gewisses Vertrauen eingestellt. Wer seine Kinder aufs Land geschickt hatte, holte sie zurück. Die Regierung hatte den Luftschutzalarm reduziert. Nur wenige gingen noch in die Schutzräume, wenn die Sirenen ertönten. Die Gasmasken hatten sich zu all den unnötigen Dingen gesellt, über die man manchmal stolpert, ein Modefürst hatte sogar beschlossen, sie als Vorlage für ein Parfümflakon zu benutzen. In den Schützengräben im
Park spielten Kinder Versteck. Das Leben ging wieder seinen fast normalen Gang.
Ein »komischer Krieg« für eine »komische Schwangerschaft«, dachte ich bei mir. Das sagte ich ihr auch. Ich tat so, als stünde ich ihr immer noch nahe. Bälle waren wieder erlaubt, auch Pferderennen. Die Theater und Kinos hatten fast alle wieder geöffnet. Ich ging oft aus, denn draußen war ich die Schwangere, zu Hause nur eine Hochstaplerin . Außerdem fiel es mir leichter, vorzutäuschen, ich erwartete ein Kind, als vorzutäuschen, ich würde Annie mögen.
Trotzdem gab ich mir Mühe, nett und freundlich zu ihr zu sein. Ich erzählte ihr vom neuen Zivilgesetzbuch, das Premierminister Daladier gerade eingeführt hatte, und von der Prämie von 3000 Francs, die bei der ersten Geburt gewährt wurde. Ich sagte vorsichtig, ich wisse wohl, dass sie sich nicht wegen des Geldes bereitgefunden habe, dieses Kind zur Welt zu bringen, aber die Summe stehe ihr mit vollem Recht zu. Ich führte ihr vor Augen, wie viele Leinwände, Pinsel und Farben sie sich von diesem Geld würde leisten können, um ihr die Lust zu nehmen, ihr Versprechen in Frage zu stellen oder die Flucht zu ergreifen.
Ich überwachte sie ständig. Trotz des Anscheins von Vertrauen hatte ich Sophie gebeten, sich niemals weit von ihr zu entfernen. Sie sollte immer wissen, in welchem Zimmer sich Annie gerade aufhielt.
Ich hatte ihr sogar ein Kätzchen geschenkt, weil ich mir vorstellte, dass sie mit dem Tier in ihrer Einsamkeit ihr Unglück teilen, ihm brennende und fade Worte ins Ohr flüstern würde, sodass ich mehr über sie und Paul erfahren könnte. Aber sie sprach nur mit ihrem Bauch und so leise,
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