Das geheime Prinzip der Liebe
allem einverstanden, als läge es in der Natur der Dinge.
»Und Alto?«
»Was? Alto?«
Wir waren schon eine ganze Weile gefahren, als wir kehrtmachten, um den Kater zu holen. An ihn hatte ich nicht den Bruchteil einer Sekunde gedacht.
In der Mühle würde uns Paul niemals suchen, dieses Ziel war ein Fluchtort, und er konnte nicht annehmen, dass ich vor ihm flüchtete. Zwei Wochen verbrachte ich damit, mir eingesperrt im Weizenduft einzuhämmern, dass ich hier sicher sei . Die Vorstellung, Paul könne auftauchen und mich entlarven, erfüllte mich mit panischer Angst.
Finnland hatte sich einige Tage vor unserer Abreise den Russen ergeben. Ich hatte keine Möglichkeit zu erfahren, was an der Front geschah. Und wenn sich die Ereignisse überstürzten und sie uns hier überraschen würden?
Von dieser ganzen schrecklichen Zeit waren die Tage in der Mühle zweifellos die härtesten. Meine Angst war so gewaltig, dass ich nachts redete. Ich schlief neben Annie und hatte Angst, mich zu verraten. Schließlich zog ich in die Küche auf die Matratze von Sophie.
Niemals sonst habe ich so stark an dem gezweifelt, was ich vorhatte. Kam es durch die Einsamkeit? Oder durch die Stille und das Nichtstun? Ich hatte den Schmerz, den sie mir zugefügt hatten, fast vergessen. Ich bemühte mich, meine Vorbehalte gegen sie wieder anzufachen, aber sie waren mir fast gleichgültig. Die einzigen Gefühle, die fortbestanden, waren Schuld und Reue. Und würde ich überhaupt eine gute Mutter werden? Würde ich geliebt werden? In diesem Moment war mein Mann vermutlich auf der Suche nach mir, aber er tat es nicht für mich. Annie wartete geduldig, aber sie tat es nicht für mich. Vielleicht würde auch dieses Kind mich nicht lieben. Vielleicht war ich ganz einfach nicht liebenswert.
Ich glaube, ich hätte das Ganze aufgeben können. Dann aber weckten sie erneut meinen schlummernden Zorn.
Ich hatte Angst, nach Paris zurückzukehren und Paul noch vorzufinden, womöglich hatte sich seine Abreise verschoben. Ich hatte keine Wahl, ich musste mich selbst vergewissern .
Jacques konnte ich nicht hinschicken, um nachzusehen, ob Monsieur wirklich zu seinem Regiment zurückgegangen war. Ich hatte nie gewollt, dass er von Annies Schwangerschaft
erfuhr. Bei Sophie hatte ich keine Befürchtungen, bei ihm schon. Sein »Ja, Madame«, »Ja, Monsieur« kam immer, bevor wir ausgeredet hatten. Das war nicht Übereifer, sondern das dringende Bedürfnis, zu handeln. Er war zu impulsiv, um ein Geheimnis zu hüten. Er hatte andere Vorzüge , bei ihm war immer alles möglich. Nach dem, was man mir erzählt hat, ist er heute ein alter Herr und es geht ihm gut. Ein Glück, dass ich ihn aus dieser Geschichte herausgehalten habe. Alle, die darin verwickelt waren, sind unter allzu tragischen Umständen gestorben.
Ich wartete nach dem vorgesehenen Ende von Pauls Fronturlaub noch ein paar Tage, dann fuhr ich spätabends, ohne es Sophie zu sagen, nach Paris. Gegen Mitternacht stand ich vor dem Haus. Nirgends Licht. Das war ein gutes Zeichen, gewöhnlich schlief mein Mann um diese Zeit noch nicht. Es war zwar möglich, dass er ausgegangen war, aber am wahrscheinlichsten schien mir, dass er mit den anderen Soldaten in seinem Bunker saß. Ich versuchte mich zu beruhigen, aber das half nicht viel, als ich die Tür aufschloss.
Sein Brief fiel mir sofort ins Auge. Er lag, vom Mondlicht beschienen, auf dem kleinen runden Tisch in der Diele.
Er fragte in dem Brief, wo ich nur sei. Ob ich denn sein Telegramm nicht bekommen hätte? Er hoffe, dass es mir gut gehe, und sei so verzweifelt, dass wir uns nicht getroffen hätten. So viel Pech sei doch nicht möglich. Und das Kind, er hätte es so gern unter seinen Fingern gespürt und gesehen, wie mein Bauch sich bewegte. Er sorge sich wegen der Zukunft. Man dürfe sich keine Illusionen machen, schrieb er, man könne nicht im gegenwärtigen militärischen Stillstand verharren. Bald würden echte Kämpfe ausbrechen, die wegen der Motorisierung weit schrecklicher
würden als die des letzten Kriegs. Man müsse auf das Schlimmste gefasst sein. Er verstehe nicht, warum die Regierung so viele unnütze Soldaten an einer unbeweglichen Front belasse, wo es doch in den Fabriken überall an Arbeitern fehle. Der Möhrenschäler des Regiments sei ein Entwickler von Flugzeugmotoren. Die Welt stehe kopf. Er bat mich um Verzeihung, dass er mir all das erzählte, er hätte sich so gewünscht, dass ich die Schwangerschaft unter besseren Bedingungen
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