Das geheime Prinzip der Liebe
Mobilmachung käme. Und ich hatte Recht. Sie war in L’Escalier.
Um Gesprächsstoff zu haben, erzählte sie mir mit blassem Gesicht von ihren Ferien in Dinard, wo sie mit ihren Eltern gewesen war. Das also war der wahre Grund für Pauls plötzliche Lust gewesen, »ein bisschen Seeluft zu schnuppern«. Und ich hatte geglaubt, er täte es für mich! Sie hatten sich dort nicht getroffen, sonst hätte sie mir nicht so naiv von dieser Reise erzählt. Allein die Aussicht, etwas weniger weit von ihr entfernt zu sein, hatte Paul angeregt, nach Deauville zu fahren ...
Auf wie viele Lügen war ich noch hereingefallen?
Ich durfte ihr nicht meinen Hass entgegenbrüllen, nicht sagen, dass ich alles wusste. So sehr würde ich mich nicht demütigen. Aber ich wollte den Zweifel in ihr säen. Zunächst würde sie mir nicht glauben, aber je mehr die Zeit voranschritt, desto mehr Kraft gewännen die Worte, und niemand würde da sein, um sie auszulöschen.
Ich sagte, dass Paul am Tag vor seiner Abreise zur Front verzweifelt gewesen sei. Ich hätte ihm versprechen müssen, in Paris zu bleiben, weil mich seine Post dort schneller erreichte. Er wolle mich nicht verlassen, er liebe mich von ganzem Herzen, noch nie sei er sich dessen so sicher gewesen wie jetzt, angesichts der drohenden Gefahr, das habe er unaufhörlich wiederholt. In jener letzten Nacht habe er mich mit der Kraft eines verliebten Mannes, der in den Krieg zieht, umarmt. Das hätten wir seit Monaten nicht mehr erlebt.
Mit meinen Worten vergalt ich ihr den Schmerz, den sie mir zugefügt hatte. Ich fuhr zurück nach Paris und glaubte, ich würde sie nie wieder sehen.
Aber Anfang Oktober kam Sophie in die Bibliothek und sagte, Annie frage nach mir.
»Ich bin schwanger.«
Dieser Satz, auf den ich in der Vergangenheit so gehofft hatte, ließ mein Blut gefrieren. Sie log. Ich hatte gesehen, was sie miteinander taten, es konnte nicht sein.
Annie sagte nichts weiter, um mich zu überzeugen. Gerade diese Zurückhaltung und Feierlichkeit brachten mich dazu, ihr zu glauben .
Mechanisch, als führte mein Körper von selbst aus, was ich mir so oft vorgestellt hatte, stand ich auf und umarmte
sie. Ich dankte ihr, sagte, ich sei glücklich. Und das Unglaublichste ist, dass ich die Wahrheit sagte. Ich erklärte ihr, sie solle nach Hause gehen und sich ausruhen, ich würde mich um alles kümmern. Ich müsse jetzt an die Zukunft denken, einen Plan machen.
Natürlich habe ich mich gefragt, ob es wirklich das Kind meines Mannes war. Wer sagte mir, dass sie nur mit ihm schlief? Dann aber kamen mir die Bilder, die ich zur Genüge gesehen hatte, wieder in den Sinn, und ich war sicher, dass sie ihm treu war. Es war sein Kind.
Ich verstand das alles nicht. Ich hatte mitbekommen, dass sie diese Schwangerschaft, die ihren Begegnungen unweigerlich ein Ende setzen würde, nicht wollten. Ich rechnete nicht mehr mit diesem Kind. Dann aber fielen mir die Worte ein, die ich einmal ganz nebenbei in Annies Ohr hatte fallen lassen. Ich hatte ihr eingeflüstert, dass auch Paul unfruchtbar sein könne und dass es vielleicht zu nichts führe, dieses Kind zu mit allen Mitteln zu wollen. Meine Worte waren offenbar bis in ihren Bauch vorgedrungen. Diese Möglichkeit, die ich ohne Nachdruck ins Feld geführt hatte, musste wie eine Drohung wirken . Annie hatte verstanden, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Daraufhin hatte sie zugesehen, dass Paul ihr dieses Kind machte, die billigste Art für eine Frau, einen Mann an sich zu binden.
Plötzlich wurde ich wieder Herrin über die Ereignisse. Ich beschloss, nach L’Escalier zurückzukehren. Es kam mir nicht ungelegen, Paris zu verlassen. Das Leben dort war während des letzten Monats unerträglich geworden. Man durfte nicht mehr ohne Gasmaske auf die Straße, alle setzten sie schon beim Hupen eines Wagens auf, weil sie dachten, es sei die Luftschutzsirene. Dann der ständige
Alarm mitten in der Nacht, der Gang in den Luftschutzkeller, ohne Grund, nur mit dem Risiko, bestohlen zu werden. Sophie war völlig durcheinander. Ihre Schwester war bei einem Probealarm in der Metro schwer verbrannt worden, weil der Strom irrtümlicherweise wieder eingeschaltet wurde, als die Menschen noch auf den Schienen standen. Die Taxis hatten Paris verlassen, um flüchtende Familien in die Provinz zu bringen. Ich konnte nicht mehr ausgehen. Alles war geschlossen. Und die Einberufenen waren noch immer nicht ersetzt worden. Ich würde nichts vermissen, wenn ich nach
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