Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
Vom Netzwerk:
Dann aber wird ein Franzose erscheinen, der alle nationalen
Kräfte erwecken, die Deutschen vertreiben und sich zur Freude aller in Avignon zum König krönen lassen wird.
    Paul selbst gab mir eine apokalyptische Schilderung der Situation, ohne zu ahnen, wie sehr sie mich freute. Der Krieg werde nicht nur unweigerlich ausbrechen, wir würden ihn vor allem unweigerlich verlieren. Es führe zu nichts, wenn er es mir verschweige . Seine Zeitung hatte ihn beauftragt, über die militärischen Vorbereitungen Frankreichs zu recherchieren, und das, was er aufgedeckt hatte, bedurfte keines Kommentars. Er hatte offizielle Dokumente und Briefe verschiedener Mitglieder der Armeekommission in die Hände bekommen, die unsere Niederlage attestierten: Unsere Bodentruppen waren schwach, die Kanonen veraltet, und allen Einheiten fehlte eine moderne Ausrüstung . Es gab keine leichten Raupenfahrzeuge für den Munitionsnachschub, stattdessen Kleintransporter, die auf vermintem Gelände nicht vorankommen konnten. Manche Regimenter hatten nicht einmal Gasmasken oder ein Signalhorn für den Alarm. Bei der Luftwaffe sah es noch schlimmer aus. Unsere Luftabwehr konnte Flugzeuge nur unterhalb von sechstausend Metern treffen, während die Deutschen in acht- bis elftausend Metern Höhe flogen. Es fehlte überall an modernen Flugzeugen. Der französischen Luftwaffe drohte die Zerschlagung binnen weniger Tage.
    Und wenn schon!
    Besser, der Krieg nahm mir meinen Mann, als sie.
    Besser, der Tod nahm mir meinen Mann, als sie.
    In jenem August hatte ich fast jede Nacht den gleichen Traum. Ich bombardierte die Deutschen und dank mir brach der Krieg aus.

    Am 1. September eröffnete dann der deutsche Panzerkreuzer Schleswig-Holstein um 4 Uhr 45 das Feuer auf die polnische Enklave der Westerplatte. Um 8 Uhr verkündete Deutschland den Anschluss Danzigs an das Deutsche Reich.
    Um 10 Uhr 30 weckte mich Paul und verkündete mir die Nachricht. Er müsse zum Rekrutierungsbüro, die allgemeine Mobilmachung sei angeordnet worden. Ich fand keine Worte des Trostes.
    Wir kehrten nach Paris zurück. In den Straßen sah ich Dutzende und Aberdutzende Kinder mit einem Köfferchen oder einem Bündel in der Hand. Manche hatten ein großes Stoffschild mit Vor- und Nachnamen auf dem Rücken. Die Regierung hatte angewiesen, sie zu evakuieren . Wie sehr habe ich alle Frauen beneidet, die an diesem Tag weinten. Ihr Unglück war der Beweis, dass das Leben ihnen ein Glück gewährt hatte, das es mir beharrlich verweigerte.
    Am 3. September stand Hitler um 7 Uhr auf und erkundigte sich nach der Front. Es gab ausgezeichnete Nachrichten: Panzer und Stukas entschieden über Polens Schicksal.
    Um 9 Uhr 15 ließ er sich in seinem Büro laut und langsam den Text des britischen Ultimatums an Deutschland übersetzen.
    Um 12 Uhr 30 übergab der französische Botschafter seinerseits den schicksalhaften Text: »Die Regierung der Republik gibt sich die Ehre, die Regierung des Reiches zu informieren, dass sie sich in der Pflicht sieht, ab heute, 3. September um 17 Uhr, die Zusagen zu erfüllen, die Frankreich vertraglich gegenüber Polen übernommen hat und die der deutschen Regierung bekannt sind.«
    An den Kiosken in Paris gab es keine einzige Zeitung mehr. Theater und Kinos waren geschlossen, Pferderennen abgesagt. Eine inbrünstige Menge drängte in die Kirchen,
die Gläubigen standen bis hinaus auf die Vorplätze. Es regnete. Paul und ich waren zu Hause, im Salon, ohne miteinander zu sprechen. Paul hatte keine Angst. Er nahm zur Kenntnis. Und ich schaute ihn an. Ich hätte sein Gesicht in mein Gedächtnis eingravieren mögen, aber seine Züge waren tot. Eine andere hatte sie mit sich genommen.
    Ich ging hinaus. Der Regen hatte aufgehört. An den Hauseingängen malten Concierges in großen weißen Buchstaben das Wort »Schutzraum«. Überall um mich herum starrten Männer auf ihre Uhr. Noch zwanzig Minuten ... Noch zehn Minuten ... Noch fünf ... Die Glocke der Madeleine-Kirche läutete fünf Mal. Jetzt war tatsächlich Krieg.
    Niemand denkt je an die Frauen, die ihren Mann mit der größten Erleichterung in den Krieg ziehen ließen. Dabei gab es sie, ich gehörte dazu.

    Gleich am nächsten Tag bat ich Jacques, mich nach L’Escalier zu bringen. Ich musste noch einmal hin, sonst hätte Annie begriffen, dass ich etwas wusste. Zumindest ein freundliches »Auf Wiedersehen« schuldete ich ihr. Ich war sicher, dass sie da sein und auf das Unmögliche hoffen würde: dass auch er trotz

Weitere Kostenlose Bücher