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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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bis hundert. Er hat sie ganz allein im Dunkeln bei den Spinnen gelassen, wo sie nicht einmal genug Platz hatte, sich umzudrehen. Ich wusste all das, ich erzählte es meinem Dad, und er verlangte von Henry, die Wahrheit zu sagen. Beth stand hinter ihm, unnatürlich still. Sie hatte helle Staubflecken an den Knien und Kratzer an den Handballen und -kanten. Irgendetwas hatte sich wohl in ihrem Haar verfangen und eine Strähne halb aus dem Haarreif gezogen, die jetzt dahing wie eine schlappe Schlaufe.
    » Ich kann überhaupt nichts dafür. Ich war die ganze Zeit hier unten. Es ist uns irgendwann zu langweilig geworden, sie zu suchen.« Henry zappelte vor Aufregung mit den Beinen, doch er schaffte es, seine Miene ruhig zu halten. Beth hatte aufgehört zu weinen. Sie sah Henry mit einem lodernden Hass an, der mich schockierte.
    Es ist mitten am Nachmittag, und ich sitze in meinem Zimmer, aufs Fensterbrett gequetscht. Von meinem Atem ist das Glas beschlagen, die Aussicht verschleiert, aber ich lese, also macht das nichts. Ich lese noch mehr von Merediths Briefen an Caroline. Es überrascht mich, dass Meredith sie alle behalten hat – dass sie sie mit Carolines anderen Sachen verstaut hat, dieses Archiv ihrer schwierigen Beziehung. Briefe gehören dem Empfänger, ich weiß, aber sie hätte sie nach dem Tod ihrer Mutter ganz einfach vernichten können, und das wäre nur verständlich gewesen. Aber vielleicht hat sie sie aufgehoben, weil sie etwas dokumentierten: die Tatsache, dass sie versucht hat, sich ein anderes Leben zu schaffen, auch wenn es ihr nicht gelungen ist.
    Liebe Mutter,
    danke für die Karte, die Du mir geschickt hast. Ich kann nur sagen, dass es mir so gut geht, wie unter diesen Umständen zu erwarten ist. Ich habe alle Hände voll mit Laura zu tun, die seit Kurzem laufen kann und nun natürlich kreuz und quer herumrennt – es ist so gut wie unmöglich, sie von allem Unsinn abzuhalten. Diese Woche gilt ihr leidenschaftliches Interesse Matsch und Würmern. Ich habe ein ausgezeichnetes Kindermädchen, eine junge Frau aus dem Ort mit Namen Doreen, die einen beruhigenden Einfluss auf das Kind hat – und auf mich, muss ich gestehen. Nichts scheint sie aus der Ruhe zu bringen, und in diesen schwierigen Zeiten ist das wahrhaftig eine Tugend. Über Deine Einladung, nach Storton Manor zurückzukehren und bei Dir zu leben, habe ich gründlich nachgedacht, doch vorerst werde ich in unserem eigenen Heim bleiben. Ich erfahre viel Unterstützung von meinen Nachbarn, die sich in der Stunde meiner Not als äußerst mitfühlend erwiesen haben. Viele Frauen aus dem Ort haben Söhne und Ehemänner, die in den Krieg gezogen sind, und jedes Mal, wenn das gefürchtete Telegramm eintrifft, wird ein Kontingent entsandt, um dafür zu sorgen, dass Essen im Haus ist, die Kinder etwas anzuziehen haben und die Ehefrau oder Mutter des Gefallenen noch atmet. Ich vermute, Du würdest diese Vermischung der gesellschaftlichen Schichten nicht gutheißen, doch ich war sehr gerührt, als ich selbst solchen Besuch bekam, nachdem sich die Nachricht von Charles’ Tod herumgesprochen hatte. Letzten Freitag war ich in London, um die persönlichen Dinge aus seinem Club und dem Büro abzuholen. Du würdest nicht glauben, welche Szenen der Verwüstung ich dort gesehen habe. Sie waren schrecklich genug, um mich bis ins Innerste zu treffen.
    Also werde ich hierbleiben, solange es mir möglich ist, denn obwohl es mich schmerzt, so etwas zu Papier zu bringen: Ich habe Dir noch nicht verziehen, Mutter, dass Du nicht zu Charles’ Beerdigung gekommen bist. Weder Deine Einwände gegen ihn als Ehemann noch Deine Abneigung gegen das Reisen hätten Dich daran hindern dürfen, ihm die letzte Ehre zu erweisen, statt sein Andenken auf diese Weise zu beleidigen. Diese Brüskierung ist auch unseren Bekannten nicht entgangen. Und was ist mit mir? Ist Dir nicht bewusst, dass ich Dich gern hiergehabt und an einem solchen Tag Deine Unterstützung gebraucht hätte? Die Gleichmut, die man von einer frisch Verwitweten erwarten darf, hat doch gewiss ihre Grenzen? Mehr werde ich im Augenblick nicht dazu sagen. Ich muss mich an das Leben ohne meinen Mann gewöhnen, und ich muss für mich selbst, die kleine Laura und mein ungeborenes Kind sorgen. Ich glaube nicht, dass Du oder sonst irgendjemand derzeit mehr von mir verlangen kann.
    Meredith
    Als ich gerade fertig bin, werde ich von einem Klingeln an der Haustür unterbrochen. Ich steige vom Fensterbrett und verziehe das

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