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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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sollen«, sagte sie.
    »Sie gehen ja auch. Und dann kommen sie wieder«, brummte Meredith. »Und bedauerlicherweise kann ich herzlich wenig dagegen unternehmen.« Darauf schwieg Ca roline. Es war eine unnatürliche Pause, als wollte sie noch etwas sagen. Alle am Tisch warteten, doch sie sprach nicht mehr. Meredith legte sich resolut die Serviette auf den Schoß und nahm sich Salat. Doch das Stirnrunzeln blieb, wie ein Knoten zwischen ihren Brauen, und als ich Caroline ansah, starrte sie über den Rasen hinweg zu den fernen Bäumen, als könnte sie geradewegs durch sie hindurchschauen. Ihr Kopf wackelte auf dem dünnen Hals, und hin und wieder zuckten ihre Hände unwillkürlich, doch dieser ferne, blasse Blick blieb fest.
    Nach dem Mittagessen wurden wir Kinder zum Mittagsschlaf verdonnert – weil ich klein und quengelig war und Henry sich beim Mittagessen danebenbenommen hatte. Also hatte Beth niemanden zum Spielen. Aber wir hielten uns nicht an die Order, und Henry schlug ein Spiel vor. Er versteckte sich als Erster, und wir fanden ihn schließlich auf dem Dachboden, hinter derselben rissigen Reisetruhe aus weinrotem Leder, die ich erst neulich wiederentdeckt habe. Wir wirbelten Staubwolken auf, die im Licht, das durch die Dachfenster fiel, flimmerten und langsame Kreise zogen. Ich fand ein Pfauenauge, in Spinnweben gewickelt und so mumifiziert, wie ich es bei Caroline befürchtete. Ich jammerte herum, weil ich mich als Nächste verstecken wollte, aber Beth hatte Henry gefunden, also war sie dran. Henry und ich hockten uns auf die unterste Treppenstufe, schlossen die Augen und zählten.
    Ich glaube nicht, dass ich in diesem Alter schon bis hundert zählen konnte. Ich verließ mich auf Henry, und der zählte normalerweise eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, wo ist nur der Rest geblieben, neunundneunzig, hundert. Nachdem ich also eine scheinbar lange Zeit zugehört hatte, wie die Haushälterin in der Küche mit dem Geschirr klapperte, öffnete ich ein Auge, um zu sehen, ob er bald fertig war. Er war nicht da. Ich blickte auf und sah ihn die Treppe herunterkommen. Er grinste hässlich, und ich blickte mich um. Das tat ich instinktiv, wann immer ich mit Henry allein war und diesen fiesen Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Ich hoffte, dass Hilfe in der Nähe war. Mein Herz schlug ganz schnell.
    »Können wir jetzt Beth suchen gehen?«, flüsterte ich schließlich.
    »Nein, noch nicht. Ich sage dir, wann«, antwortete er. »Komm, na los, komm mit mir.« Er sprach mit seiner aufgesetzt netten Stimme, ein hoher Tonfall, mit dem er auch die Labradore gern hereinlegte. Er reichte mir die Hand, und ich nahm sie widerwillig. Wir gingen ins Arbeitszimmer, und er schaltete den Fernseher ein.
    »Ist es jetzt so weit?«, fragte ich erneut. Irgendetwas stimm te nicht. Ich wollte zur Tür gehen, aber er streckte ein Bein aus und versperrte mir den Weg.
    »Noch nicht! Du weißt doch – du darfst erst suchen gehen, wenn ich es dir sage.«
    Ich wartete. Ich fühlte mich elend. Ich schaute nicht in den Fernseher. Ich sah Henry an, blickte zur Tür und wieder zurück. Was ist schon Zeit, wenn man so klein ist? Ich habe keine Ahnung, wie lange er mich warten ließ. Es muss über eine Stunde gewesen sein, und mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Als sich die Tür knarrend öffnete, rannte ich hin. Mein Vater kam herein und fragte, wo Beth sei. Er blickte in mein ängstliches Gesicht und wiederholte die Frage. Henry zuckte mit den Schultern. Dad und ich liefen durchs ganze Haus und riefen nach ihr. Auf dem Flur im obersten Stockwerk hörten wir sie – ein Hämmern und leise, verzweifelte Schreie. Unter der letzten Treppe hinauf zum Dachboden war ein Kabuff, mit einem Schloss mit eisernem Schlüssel darin. Dad drehte ihn um, hob den Riegel an, und Beth stürzte heraus. Ihr Gesicht war kreidebleich und mit Tränen und Staub verschmiert.
    »Was, um Himmels willen …?«, stieß Dad hervor und hob sie auf. Sie keuchte so heftig, dass sie an ihrem eigenen Schluchzen beinahe erstickte, und ihre Augen starrten auf eine Art aus ihrem Gesicht, die mir Angst machte. Es war, als hätte sie sich vor mir und vor der ganzen Welt verschlossen. Angst hatte sie dazu gebracht, sich in ihrem eigenen Kopf zu verstecken. Der Schrank war eng und voller Spinnweben, und der Lichtschalter lag außen. Henry hatte das Licht ausgeschaltet und den Schlüssel im Schloss herumgedreht, während ich mit geschlossenen Augen dagesessen und angenommen hatte, er zähle

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