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Das Geheimnis der 100 Pforten

Das Geheimnis der 100 Pforten

Titel: Das Geheimnis der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N D Wilson Dorothee Haentjes
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Henrys Gesichtsfeld.
    Henry dachte nicht darüber nach, ob er vielleicht träumte. Dazu war er viel zu überrascht. Stattdessen starrte er mit angehaltenem Atem auf den gelben Ort. Das Pfeifen konnte er immer noch hören, manchmal schwach und entfernt, manchmal näher. Er hörte das Knirschen der Schuhe, wenn die Hosenbeine auf und ab gingen, aber er sah sie nur noch einmal vorbeikommen. Der gelbe Ort war nichts, was Henry normalerweise sonderlich interessiert hätte, und ebenso wenig ein
männliches Hosenbein. Aber beides durch ein kleines Fach in seiner Zimmerwand hindurch zu sehen, von der er wusste, dass sie eine Außenwand war, machte die Sache bedeutend interessanter. Und so blickte Henry eine ganze Weile hindurch auf etwas, das nicht allzu viel war - aber auch das konnte dort eigentlich nicht sein.
    Wenn ein Junge eine Spinne findet, die sich nicht bewegt, bleibt er in der Regel stehen, um sie zu untersuchen. Wenn sie in ihrer Unbeweglichkeit verharrt, und selbst wenn sie irgendwie gefährlich aussieht, wird er sie mit einem Stöckchen anschubsen, nur um zu sehen, ob sie reagiert. Sofern es sich um eine Schlange handelt, wird er einen längeren Stock nehmen oder auch einen gut gezielten Stein werfen. Henry befand sich in einer ähnlichen Situation. Er sah etwas, das unglaublicher war als alles, was sich die meisten Leute vorstellen konnten. Aber es geschah zunächst nichts.
    Henry hatte keinen Stock. Er hatte auch keinen Stein. Darum reckte er einfach den Arm und schob den länglichen Umschlag durch das Postfach zurück. Auf der anderen Seite hörte er ihn zu Boden fallen. Das Pfeifen verstummte. Einen Moment lang herrschte Stille am gelben Ort, dann knirschten die Schuhe auf ihn zu. Ein halbes Hosenbein kam in Sicht. Das Bein, das darunter steckte, ging in die Knie. Eine Hand tauchte auf. Sie bewegte sich zum Boden hinab, dann in entgegengesetzter
Richtung wieder nach oben. Sie hatte den Briefumschlag aufgehoben.
    »Hm«, machte eine Stimme. Henry hielt den Atem an, als ein zur Seite geneigtes Gesicht sichtbar wurde, das ihn direkt ansah. Es war das Gesicht eines Mannes, lang und schmal, mit einem ziemlich mächtigen grauen Schnurrbart. Der Mann blickte in das Fach, während sich seine Hand wieder nach oben bewegte und den Umschlag erneut hineinlegte. Dann richtete sich der Mann wieder auf, das Pfeifen erklang von Neuem und die Füße knirschten abermals irgendwohin. Henry begann wieder zu atmen.
    Es dauerte nicht lange, bis es Henry, der vornübergebeugt sein Gesicht an die kleine Tür quetschte, unbequem wurde. Er versuchte, sein Gewicht zu verlagern, zu sitzen anstatt zu knien, aber sein Hals wurde immer steifer und sein Rücken tat weh. Schließlich schob er die zusammengeklebten Poster auf die andere Seite des Zimmers und glitt vom Bett auf den Boden. Jetzt konnte er die Fächer sehen, sich mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand lehnen und die Füße unter sein Bett strecken. Aus dieser Position behielt er das kleine Rechteck aus gelbem Licht im Auge. Allerdings nicht lange. Denn nachdem er es nun endlich bequem hatte, schlief er ein.
    Als er aufwachte, lag seine rechte Wange auf seiner
Schulter. Sein Hals war steif und das Licht war aus. Henry stand auf und schlug sich das Schienbein an der Bettkante an. Er stieß einen Schmerzensschrei aus, dann kroch er auf sein Bett und tastete nach der kleinen Tür. Als er sie gefunden hatte, zog er den länglichen Umschlag und die Postkarte heraus und ließ beides auf sein Bett fallen. Dann saß er da, starrte in die Dunkelheit und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Er schob seine Hand in das kleine Postfach und tastete umher. Dann fühlte er tiefer hinein. Es war vielleicht gerade mal dreißig Zentimeter tief und seine Hand gelangte schnell an die Öffnung auf der Rückseite. Er hatte eine Idee. Mit seiner linken Hand tastete er nach dem Riegel der Tür zum Wind und den Bäumen. Er ließ sich leicht zurückschieben, die Tür schwang auf und ließ ihren erdigen Geruch entweichen. Diese Tür befand sich genau oberhalb des kleinen Postfachs; ein Holzstreifen von fünf Zentimetern Breite war alles, was sie voneinander trennte.
    Die rechte Hand weiterhin im Postfach, beugte Henry sich zur Seite und fuhr mit seiner linken Hand in das größere Fach. Er schob sich so nah an die Wand heran, wie es nur ging. Bis er das Gefühl hatte, dass seine beiden Arme auf der anderen Seite der Fächer herausragen müssten. Dann, sein Kinn an die Wand gepresst,

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