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Das Geheimnis der 100 Pforten

Das Geheimnis der 100 Pforten

Titel: Das Geheimnis der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N D Wilson Dorothee Haentjes
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versuchte er, seine Hände einander finden zu lassen. Seine
rechte Hand wedelte durch die Luft und fand gar nichts. Seine linke stieß gegen etwas, das weich und feucht war. Seine Hände befanden sich an zwei ganz unterschiedlichen Orten, aber sein Kopf wusste, dass sie sich auf der anderen Seite der Wand eigentlich hätten berühren müssen. Henry veränderte seine Position so, dass er noch weiter in das Postfach hineinfassen konnte, winkelte seinen Arm an und reckte ihn, so hoch er konnte. Seine Finger tasteten umher und bekamen einen Umschlag zu fassen. Offenbar war er auf die Rückseite eines weiteren Postfachs gestoßen. Er tastete zur Seite und entdeckte noch eins.
    Henry zog die Arme heraus und rieb seine Hände gegeneinander. Die Rückseite des Postfachs befand sich offenbar in der Wand eines irgendwo anders liegenden Postamts. Die Vorderseite lag in seinem Schlafzimmer. Die Rückseite des anderen Fachs schien in einem Wald oder sonst einem Ort mit Bäumen zu liegen. Und die Vorderseite befand sich wiederum in seinem Schlafzimmer. Seine linke Hand hatte Moos und Erde getastet, irgendwo, wo es gerade geregnet hatte. Seine rechte war in einem Postamt gewesen und hatte die Briefe anderer Leute befingert. Und sein Körper befand sich in seinem Schlafzimmer.
    Henry blieb lange in der Dunkelheit sitzen, dachte Gedanken, die zu nichts führten, und fragte sich Dinge,
die er nicht beantworten konnte. Schließlich, während er die Luft einatmete, die von irgendwo anders her durch seine Wand in sein Zimmer wehte, schlief er wieder ein. Die beiden kleinen Türen blieben offen stehen. Und während er schlief, träumte er.
    Er stand barfuß im Grünen. Seine Zehen streckten und krümmten sich und gruben sich in feuchtes, fettes Moos. Es gab auch Bäume. Riesige Bäume. Es schien ein Wald zu sein, aber die Bäume standen sehr weit auseinander, an den meisten Stellen mindestens zweihundert Meter. Über ihm wuchs das Laubdach ineinander. Es spross aus den senkrechtstämmigen, glattrindigen Pfeilern, die mit dem Austreiben der Äste gewartet hatten, bis sie nahezu in den Himmel reichten.
    Henry befand sich auf einem sanften Anstieg, der dort, wo er stand, fast eben war. Unterhalb aber konnte er Baumwipfel erkennen. Dieser Umstand und die Kälte der Luft ließen ihn vermuten, dass er auf einem hohen Berg stand. Henry sah den Berg hinunter, auf die grüne, moosige Erde und die Baumstämme. Er beobachtete sich, wie er ging. Dabei hatte er sich nicht in der Gewalt. Er ging einfach immer weiter, als wanderte er durch einen Traum. Unter seinen Zehen fühlte er, wie Wasser aus dem Moos herausquoll. Er roch die kalte Luft und spürte sie in seiner Lunge. Er wäre gern stehen geblieben und hätte mit der Hand über die glatte
Rinde der Bäume gestreichelt oder einen der großen hölzernen Stämme mit seinen Armen umschlungen. Stattdessen ging er weiter und fand sich bald auf einer Lichtung wieder, auf der es nur Gras und Himmel gab. Die Steigung führte nur noch ein kleines Stück weiter und oben auf der Kuppe befand sich eine riesige rechteckige Felsplatte flach auf dem Boden. Ihre Kanten waren abgerundet und sie war fast so groß wie Henry.
    Henry streckte die Hand aus. Früher einmal musste dieser Stein glatt gewesen sein. Jetzt hatten Moos und die Zeit seine Haut aufgeraut. Henry berührte mit seiner Hand die Oberfläche und ging einmal ganz um den Felsen herum. Auf der anderen Seite stand ein alter Baum.
    Dieser Baum war dicker als die Bäume am Anstieg des Berges, und nicht ganz so hoch. Seine untersten Äste waren so stark, wie Henry es noch bei keinem Baum gesehen hatte. Es war ein alter Baum und er sah aus, als sterbe er. Am Fuß des Stammes klaffte eine breite Spalte, die im Inneren nur noch aus Erde und Fäulnis bestand. Auf dem Berggipfel blies der Wind heftiger und wehte unablässig durch die alten Zweige und ihre Blätter.
    Dann entdeckte Henry den Hund. Er war schwarz und sehr groß. Er rannte auf den alten Baum zu und versuchte, durch Kratzen und Wühlen seinen Kopf in
die Spalte zu zwingen. Dann sprang er davon, lief zu der Felsplatte hinüber und begann, rund um sie herum die Erde wegzuscharren. Als er wieder aufblickte, zauderte er und blähte die Nüstern. Er blickte Henry an - oder vielmehr die Stelle, wo Henry stand. Es war ein riesiger Hund, groß wie ein Mastiff oder eine Dänische Dogge, und zwei Sprünge - dann stand er Henry gegenüber. Sein Kopf war fast so mächtig wie sein Leib. Er schnupperte. Dann

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