Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
ins Gesicht, »haben wir Euch hierherbringen lassen, ohne dass ein Richter oder Henker zugegen ist. Wir hofften, die Angelegenheit im Guten lösen zu können. Ihr sagt uns, was wir wissen wollen, und wir bieten Euch die Sicherheit auf einen gerechten Prozess und eine eher milde Strafe. Ich frage Euch jetzt zum letzten Mal: Warum ist der Inquisitor so an Euch interessiert?«
Gerardo begann zu verstehen. Die Stadtregierung von Bologna, die zwar zum Teil welfisch und damit dem Papsttum wohlgesinnt war, konnte es nur schwer ertragen, dass die Inquisition sich in die Rechtssprechung einmischte. Der Mord an dem deutschen Tempelritter unterlag zunächst dem üblichen Strafrecht und fiel damit in den Zuständigkeitsbereich des Podestà. Der Capitano del Popolo hatte Mondino die Erlaubnis erteilt, die Leiche des Deutschen zu untersuchen, weil er sich darüber geärgert hatte, dass die Inquisition sich anmaßte, in diesem Mord zu ermitteln.
Man hatte ihn hierhergebracht, um ihm mit dem Anblick der Folterinstrumente Angst einzujagen, und jetzt wollten sie ihn mit der Aussicht auf eine milde Strafe ködern, weil sie ahnten, dass hinter seiner Anklage mehr als eine einfache Brandstiftung steckte, sonst wäre das Interesse des Inquisitors an ihm nicht so groß. Sie wollten unter allen Umständen in
Erfahrung bringen, was die Inquisition ihm vorwarf, damit sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen konnten und verhindern, dass man ihnen vielleicht vorwarf, sie wären ihren Amtspflichten nicht nachgekommen.
Allerdings konnte Gerardo sich nicht auf ein schlichtes mündliches Versprechen verlassen, das die beiden Edelleute ohne weiteres leugnen konnten, sobald sie das Gewünschte erfahren hatten. Zu viel stand auf dem Spiel. Es ging nicht nur um sein eigenes Wohl, sondern um das Überleben eines der ruhmreichsten kirchlichen Orden. Würde er dem Handel des Capitano del Popolo zustimmen, gäbe es keine Rechtfertigung mehr für alles, was er bisher getan hatte. Die Brandstiftung, das Verbergen der Leiche von Angelo da Piczano, der Tod des armen verkrüppelten Jungen, die Lügen, die Flucht … Vor allem aber würde Gerardo sich selbst nicht mehr in die Augen sehen können, denn er könnte sich dann nur noch als gemeiner Verbrecher ohne ein höheres Ziel sehen.
»Ich habe nichts zu sagen«, wiederholte er.
Pantaleone Buzacarini machte einen Schritt nach vorn und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Gerardo, der schon durch die Prügel vor seiner Verhaftung und von dem Aufenthalt in der Zelle geschwächt war, schlug die Hände vors Gesicht und sank wie ein nasser Sack zu Boden. Er spürte, wie warmes Blut aus seiner Nase durch seine Finger rann und sein ohnehin schon schmutziges Gewand befleckte.
»Habt Ihr denn immer noch nicht begriffen, dass Euch gar keine Wahl bleibt?«, fuhr ihn Pantaleone wütend an. »Gleich werdet Ihr es aber gewisslich verstehen. Ich werde den Henker und den Notar holen lassen. Dann werdet Ihr uns schon sagen, was wir wissen wollen, das garantiere ich Euch.«
Er wandte sich zum Gehen, doch der Podestà hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Einen Moment lang bewegte sich niemand und in dem unterirdischen Raum herrschte Stille,
so dass, wenn auch nur gedämpft, die Alltagsgeräusche aus den Stockwerken über ihnen zu hören waren. Rufe, Türenschlagen, Riegel, die auf- oder zugeschoben wurden.
»Wir können es uns nicht erlauben, den Inquisitor offen herauszufordern«, sagte Enrico Bernadazzi und lächelte verschlagen. »Aber mir ist eben eingefallen, wie wir erfahren können, was wir wissen wollen, ohne mit der Kirche in Konflikt zu geraten. Lasst den Gefangenen wieder in seine Zelle bringen.«
Der Capitano del Popolo öffnete eine Tür, und kurz darauf betraten die beiden riesigen Wachen den Raum. Gerardo wurde wieder fortgeschleift und erfuhr so nicht mehr, was dem Podestà eingefallen war. Aber es machte kaum einen Unterschied, ob er von einem weltlichen oder einem kirchlichen Henker gefoltert würde.
Gleich nach dem Mittagessen gesellte sich Uberto da Rimini zum Prior vor die Basilika und gab sich leutselig, während er mit ihm die Arbeiten am neuen Glockenturm beobachtete, die in diesen Tagen nach über einem Monat Stillstand aufgrund finanzieller Probleme wieder aufgenommen wurden. Damit schienen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, und der Prior war davon überzeugt, dass der Campanile in einigen Jahren, und zwar im Jahre des Herrn 1313, geweiht werden könnte.
Zwischen den
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