Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
unendliche Traurigkeit trübte.
Kurz darauf senkte sie die Lider, wie es sich für eine bescheidene junge Frau gehörte, und lief schnell in ihren gelben Filzpantoffeln, die gut mit dem Blond ihrer Haare harmonierten, aus dem Raum.
»Ich habe noch nie eine Frau als Schreiber gesehen«, sagte Gerardo erstaunt und setzte sich auf den mit einem purpurroten Seidenkissen gepolsterten Stuhl.
Remigio lachte. »Fiamma ist meine Adoptivtochter. Als ich sie bei mir aufgenommen habe, konnte sie bereits lesen und schreiben.«
»Seltsam für eine Frau. Ist sie von vornehmer Herkunft?« Gerardo wollte eigentlich gar nichts über Fiammas Familie wissen, doch etwas in ihm sträubte sich dagegen, dieses Thema zu verlassen.
»Ihr Vater war ein venezianischer Kaufmann, der seine Geschäfte im Königreich von Aragon betrieb, zu nah am Gebiet der Sarazenen«, erklärte Remigio. »Eines Tages wurde die
Stadt angegriffen und Fiammas Familie ausgelöscht. Aber ein Tempelritter sucht mich wohl kaum in meinem Arbeitszimmer auf, um mit mir über das Schicksal meiner Adoptivtochter zu plaudern.«
»Nein, sicherlich nicht.« Gerardo holte tief Luft. »Um es kurz zu machen, Messer Remigio,«, sagte er dann, »wegen eines unglückseligen Zwischenfalls habe ich mein gesamtes Geld verloren und muss mir nun etwas leihen. Bei Ravenna besitze ich Ländereien, die ich verkaufen möchte, und mit einem Teil des Erlöses würde ich die Summe zurückzahlen.«
»Ein Zwischenfall? Welcher Art?«
»Was tut das zur Sache?«
Remigio Sensi stützte sich mit den Handflächen auf den dunklen Tisch und sah ihm direkt in die Augen. »Ihr seid ein Tempelritter. Wenn der Zwischenfall, von dem Ihr sprecht, etwas mit der Inquisition zu tun hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man Euch gefangen nimmt. Und ich muss wissen, welches Risiko ich eingehe.«
Gerardo nickte langsam. Er konnte dem Geldverleiher zwar nicht alles sagen, beschloss jedoch, ihm zumindest einen Teil der Wahrheit zu erzählen. »Die Inquisition hat damit nichts zu tun«, log er. »Das Haus, in dem ich wohnte, hat Feuer gefangen, und ich musste fliehen. Ich hatte nicht die Möglichkeit, den Hausherrn zu entschädigen.«
»Ein Brand?«, fragte Remigio und musterte ihn aufmerksam. »Es handelt sich dabei doch nicht etwa um das Haus hinter der Kirche von Sant’Antonio, in dem es letzte Nacht gebrannt hat? Ich kenne den Hausherrn; er wohnt nicht weit von hier.«
Gerardo fühlte sich ertappt. Er wollte eine Ausrede, irgendeine Lüge erfinden, doch er schwieg einen Moment zu lange. Der Bankier machte eine Geste, als wäre es nicht weiter von Bedeutung.
»Seid unbesorgt, bei mir sind Eure Geheimnisse sicher«, sagte er. »Ich werde Euch bestimmt nicht verraten. Aber kommen wir wieder auf unser Geschäft zurück.«
Er blickte auf und starrte ein großes Gemälde an, auf dem der heilige Matthäus, der Schutzpatron der Geldwechsler, abgebildet war, als wollte er dessen Beistand erbitten. Dann erklärte er Gerardo die Bedingungen für die Anleihe.
»Wie Ihr wisst, gestattet die Stadt das Verleihen von Geld, vorausgesetzt, die Zinsen liegen nicht höher als vier Denar pro Monat für eine Lira. Selbstverständlich deckt das bei jemandem, der gesucht wird, keinesfalls die Risiken ab.«
»Was schlagt Ihr also vor?«, fragte Gerardo und wusste, dass auf diese Vorbemerkung ein ungeheuerliches Angebot folgen würde.
»Das hängt von der Gesamtsumme ab, die Ihr benötigt, doch ich denke, dass ich mindestens fünfzehn Denar im Monat pro Lira ansetzen muss, wobei die gesamte Schuld ein Jahr nach Vertragsabschluss abgelöst sein muss.«
Gerardo hatte eine noch unverschämtere Forderung erwartet und war erleichtert. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer.
»Außerdem«, fuhr der Bankier fort, »bedarf es einer stipulatio poena für den Fall, dass die Zahlung bei Fälligkeit nicht erfolgt.« Er seufzte tief auf, als ob es ihm leidtäte, ihm dies mitzuteilen, und fügte dann hinzu: »Fünfzig Prozent des Gesamtbetrags.«
Gerardo sprang erbost auf. »Was? Aber das ist Wucher! Das ist eine schwere Sünde, die auf das Höchste verurteilt wird von der …«
»Leise, Messere, beleidigt mich nicht«, unterbrach ihn Remigio, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Seid Ihr Euch denn der Risiken nicht bewusst, die ich eingehe, wenn ich einem Flüchtling Geld leihe? Noch dazu, wenn dieser Mitglied
eines Ordens ist, gegen den Beschuldigungen wegen Ketzerei und unzüchtigen Treibens erhoben werden, und
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