Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
stellen würde. Auf seiner Reise hatte er sich als Pilger nach Santiago de Compostela ausgegeben. Sein unscheinbares Äußeres und die ärmliche Kleidung hatten ihn zwar vor Dieben und Räubern beschützt, aber sie hatten ihn auch gezwungen, stets in elenden Absteigen zu übernachten. So konnte er es kaum erwarten, dass endlich alles vorüber war und er nach Zypern zurückkehren konnte.
Doch zunächst musste er herausfinden, was der mysteriöse »Freund«, der ihm den Brief geschrieben hatte, für das versprochene Geheimnis haben wollte. Und dann musste er eine Möglichkeit finden, es ihm zu entreißen und ihn zum Schweigen zu bringen. Das musste jedoch alles bis zum Abend warten. Wenn in dem Brief die Wahrheit gestanden hatte, würde er nach der Vesper alles erfahren.
Er fand ein Gasthaus, das seinen Vorstellungen entsprach, trat ein und wunderte sich, dass der Wirt einigermaßen Latein konnte. Während seiner gesamten Reise durch das Gebiet von Italien hatte Wilhelm Schwierigkeiten gehabt, sich zu verständigen: In der Verkleidung eines Pilgers hielt er sich vor allem an bescheidenen Orten auf, und die armen Leute dort sprachen nur Volgare .
Der Gastwirt erklärte ihm, in Bologna sei man an Gäste aus aller Herren Länder gewöhnt, Männer der Kirche, Studenten und Pilger, und da brauchte man fürs Geschäft schon ein wenig Latein. »Als ich ein kleiner Junge war, hat mein Vater mich zu einem Benediktinermönch aus der Basilika hier zum Lernen geschickt«, erzählte er. »Und jetzt weiß ich, dass er recht daran getan hat.«
Wilhelm fragte nach einem Zimmer nur für sich allein und erklärte, er würde an Schlaflosigkeit leiden und es deshalb nicht ertragen, in Gemeinschaftsräumen zu übernachten. Der Wirt hatte noch ein kleines Zimmer mit einem Bett für zwei Personen, und der Tempelritter willigte ein, für zwei zu zahlen, obwohl er den Raum allein benutzte. Er stieg über eine enge Holztreppe in den ersten Stock hinauf, betrat das Zimmer, ließ die beiden Quersäcke - sein einziges Gepäck - auf den Boden fallen, zog die Schuhe aus und legte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den mit Stroh gefüllten Stoffsack.
Auf Zypern schlief er auf einer Matratze aus feiner Wolle. Die unbequemen Schlafplätze während seiner Reise hatten ihn an seine Jugend erinnert. Auch jetzt, während er es genoss, endlich seine Glieder entspannt ausstrecken zu können, in diesem angenehmen Augenblick, der dem Schlaf vorausgeht, dachte Wilhelm von Trier an die ferne Zeit zurück, in der die Suche ihren Anfang genommen hatte.
Er war blutjung gewesen, als er mehr aus Abenteuerlust denn aus religiöser Berufung in den Orden der Tempelritter eintrat und sofort ins Heilige Land aufgebrochen war. Man hatte ihn der Komturei von Tyros zugeteilt. Dort hatte ihm ein Gefährte von dem Geheimnis erzählt, nach dem zu suchen sein Lebensinhalt werden sollte.
Al iksir , so hatte er es genannt. Ein Geheimnis, das arabische Alchimisten schon vor Christi Geburt kannten und das vermutlich aus dem fernen Indien stammte. Die abendländischen
Wissenschafter nannten es »Lebenselixier«, ein trockenes Pulver, welches das Leben auf unbestimmte Zeit verlängern und jede Wunde, jedes körperliche Gebrechen heilen konnte.
Der Mönch, der ihm davon erzählt hatte, behauptete, in Alexandretta, einer Stadt, die seit langem in der Hand der Sarazenen war, lebe ein Alchimist, der dieses Geheimnis kannte. Sein Mitbruder versuchte schon längere Zeit, unter falschem Namen dorthin zu gelangen, doch es war ihm nicht gelungen. Nun hatte er erfahren, dass der Mann, den er suchte, sich zu den Mauren nach Spanien geflüchtet hatte.
»Und aus diesem Grunde spreche ich davon zu Euch, Bruder«, hatte er Wilhelm erklärt. »Ich brauche Eure Hilfe. Dafür biete ich Euch an, an den Nachforschungen teilzunehmen. Ich hatte Gelegenheit, Euch in diesen Monaten zu beobachten, und ich weiß, dass Ihr der Richtige seid: mutig, klug und entschlossen.«
Wilhelm hatte die Schmeicheleien zurückgewiesen und ihn direkt gefragt, was genau er von ihm wolle. Das war schnell gesagt. Wilhelm hatte den Rang eines Sergeanten und arbeitete auch in der Schreibstube. Über seinen Tisch gingen alle Versetzungsbefehle der Komturei. Der Mitbruder brauchte seine Hilfe, um sich nach Spanien schicken zu lassen, wo er seine Nachforschungen fortsetzen wollte.
So waren beide wenige Monate vor dem Fall von Akkon, der den endgültigen Verlust des Heiligen Landes für die christlichen Mächte
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