Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
erinnere mich nicht nur wegen dieser Worte daran, sondern wegen seines Blicks. Er sah beinahe aus, als wäre er verrückt.«
Gerardo ließ ihre Kehle los. Er war überrascht. Wusste Angelo vielleicht, dass er in ein paar Tagen sterben würde und hatte deswegen gesagt, dass er nicht alt werden würde? Aber was für einen Sinn ergab dann der zweite Satz?
Filomena nutzte den kurzen Moment, in dem er abgelenkt war, um sich loszureißen. Sie warf den Weinkrug um, als sie zu dem Vorsprung aus Ziegelsteinen neben dem Kamin eilte, um das dort liegende Messer zu holen. Ehe Gerardo sie erreicht hatte, war sie bereits auf die andere Seite des Tisches gelaufen und schrie wie eine Besessene. »Zu Hilfe! Geremia! Bernardo! Kommt schnell!«
Gerardo begriff, dass die Alte noch Komplizen haben musste, die den Auftrag hatten, ihr bei eventuellen Problemen mit den Freiern zu helfen. Er konnte nicht rufen, dass jemand aus der Nachbarschaft den Häschern Bescheid sagen sollte, denn das war das Letzte, was er sich wünschte. Ihm blieb nur eine Möglichkeit: Er musste fliehen. Mit einem Satz war er an der Tür, riss sie auf und lief dann hinaus auf das Gässchen, genau im gleichen Moment, als aus dem Haus gegenüber zwei plumpe Gestalten erschienen. Er blieb nicht stehen, um zu sehen, ob sie ihn verfolgten oder zu der Alten liefen. In seiner Panik rannte Gerardo einfach los, so schnell er konnte. Als er endlich wagte, sich umzudrehen, stellte er fest, dass ihm niemand auf den Fersen war. Erst jetzt bemerkte er ein unangenehmes feuchtes Gefühl an seinen Beinen. Als er an sich herunterblickte, sah er, dass er von Wein durchnässt war.
Es war beinahe Abend, aber in diesem Zustand konnte er sich nicht mit Mondino treffen, daher beschloss er, erst in seine Herberge zu gehen, um sich umzuziehen. Während er lief, wurde er immer wieder von nervösem Zittern durchgeschüttelt, vollkommen erschöpft von der Müdigkeit und den schrecklichen Dingen, die er über seinen Mitbruder und Freund herausgefunden hatte. Er konnte sich erst wieder beruhigen, als er endlich seine Unterkunft erreicht hatte, und dort schwor er sich, dass er den armen Masino befreien würde, selbst wenn es ihn das Leben kosten sollte.
DREI
W ährend er sich auf dem belebten Platz vor der Basilika Santo Stefano umsah, dachte Wilhelm von Trier, dass dieser Anblick die lange Reise, die er hinter sich gebracht hatte, nicht lohnte. Natürlich hatte der Gedanke, dass Bologna ein getreues Abbild der heiligen Stätten von Jerusalem schaffen wollte, etwas Interessantes, und der Name Sancta Hierusalem Bononiensis war in der ganzen Christenheit bekannt. Dennoch fand er, der das echte Jerusalem mit eigenen Augen gesehen hatte, es übertrieben und geradezu gotteslästerlich, dass man hier heilige Namen wie »Tal Josaphat«, »Golgatha« und »Ölberg« an Plätze und Hügel der Stadt vergab. Einer Stadt, die von Kaufleuten, Gasthäusern und Hurenhäusern geschändet wurde, selbst wenn ihre Anwesenheit auf gewisse Weise von den dort erbauten Kirchen geadelt wurde.
Die »Grabeskirche« wollte er aber trotz allem besuchen. Doch zunächst musste er eine Unterkunft finden, sich ausruhen und stärken in der Hoffnung, am Nachmittag würde es nicht mehr so feucht sein. Das Alter forderte seinen Tribut: Wilhelm von Trier war ein betagter Mann und hätte nie die Insel Zypern verlassen, wo er eine sichere Zuflucht vor der Welle von Beschuldigungen und Prozessen gefunden hatte, die über seinen Orden hereingebrochen waren. Es gab jedoch einen triftigen Grund, der ihn trotz aller Gebrechen und der Notwendigkeit, unerkannt zu bleiben, zu dieser Reise bewogen hatte. Instinktiv fuhr seine Hand unter das Gewand, um nach der in die Beinlinge eingenähten Tasche zu tasten, wo er die
Landkarte verwahrte. Beinahe hätte er sie auf Zypern zurückgelassen, und erst im letzten Moment hatte er sich doch dazu entschlossen, sie mitzunehmen. Diese Karte, die sie dem Mann unter der Folter abgepresst hatten, hatte sich als vollkommen nutzlos erwiesen. Dennoch war sie zu genau gezeichnet, als dass es sich um eine Fälschung handeln konnte. Während all der Jahre hatte Wilhelm sich gefragt, ob sie nicht ein Geheimnis verbarg, das zu entschlüsseln sie nur nicht in der Lage gewesen waren. Vielleicht würde er nun endlich eine Antwort auf diese Frage bekommen.
Er bog gemächlich in eine Gasse links des Platzes ein, weil er dachte, dass dort der ideale Ort für ein Gasthaus wäre, in dem man ihm nicht zu viele Fragen
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