Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
besiegelte, in den Dienst der Komturei von Tortosa übergewechselt, wo ein weiterer Tempelritter ihrer Gruppe beigetreten war. Die drei hatten einen Pakt geschlossen, um das Elixier in ihren Besitz zu bringen. Dann war Wilhelms Freund am Fieber gestorben, und sie waren nur noch zu zweit. Inzwischen war der türkische Alchimist, den sie suchten, getötet worden; man hatte seine Leiche vor den Toren Granadas gefunden. Dem Toten fehlte das Herz. Dieser Umstand
hatte die Feindseligkeiten zwischen Granada, das in der Hand der Sarazenen war, und Tortosa, der Festung des Königreiches Aragon, noch verschärft. Wilhelm und sein Gefährte hatten schon die Hoffnung aufgegeben, ihre Nachforschungen mit Erfolg beenden zu können, da der Alchimist tot war. Doch unerwartet war ein neuer Verbündeter aufgetaucht, ebenfalls ein Tempelritter, der sie auf eine weitere Spur brachte - und zwar in Tortosa …
Wilhelm von Trier war nicht mehr in der Lage, die Vergangenheit weiter heraufzubeschwören. Seine bewussten Gedanken vermischten sich mit seltsamen Bildern, die in seinem Kopf ohne logische Verbindung entstanden, und einen Moment später schlief der alte Tempelritter bereits.
Mondino trat auf Zehenspitzen in die Tür des Zimmers, das sein Vater im Erdgeschoss des Hauses bewohnte, und beobachtete ihn verstohlen. Rainerio lag mit dem Kopf zum Fenster und betrachtete die kleinen leuchtend grünen Früchte, die sich nach der Blüte an dem Apfelbaum gebildet hatten. Der alte Mann war abgemagert und blass, seine Haut glänzte merkwürdig, und sein Blick wurde jeden Tag abwesender. Mondino unterdrückte seinen Schmerz, betrat den Raum und setzte sich auf einen Schemel neben dem Bett.
»Guten Abend, Vater.«
Er fragte ihn nie, wie es ihm ging. Alle, die das Zimmer betraten, taten dies unveränderlich. Er nicht. Was für einen Sinn sollte es auch haben, einen Sterbenden nach seinem Befinden zu fragen, das zwang ihn doch nur zu lügen und mit krampfhaftem Lächeln und abgedroschenen Phrasen zu antworten. Denn wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätten sich die Leute unwohl gefühlt, ihn mit freundlichen Ermahnungen überhäuft und einen heuchlerischen Optimismus zur Schau getragen. Selbst Mondino war nicht ehrlich zu ihm, denn jedes
Mal, wenn er den Raum betrat, legte sich eine Maske über sein Gesicht, um seine wahren Gefühle vor seinem Vater zu verbergen. Es war keine Heuchelei, sondern Mitgefühl. Für sie beide.
Rainerio drehte sich um und lächelte. »Mondino. Inzwischen lässt du dich hier nur noch selten sehen.«
Der Arzt nickte, wieder lenkte ihn der Gedanke ab, der ihn seit dem vergangenen Abend nicht losließ. Gerardo war nicht zu ihrer Verabredung erschienen. Und sosehr er sich auch bemühte, alle harmlosen Möglichkeiten für seine Abwesenheit in Betracht zu ziehen, drehte sich sein Kopf nur um eine einzige Befürchtung: Wenn er verhaftet worden war, würden die Häscher auch bald an seine Tür klopfen.
»Genau darüber wollte ich mit Euch reden, Vater«, sagte er und verjagte diese düsteren Gedanken. »Es kann sein, dass ich in nächster Zeit noch häufiger von zu Hause abwesend sein werde.« Er wandte den Blick ab und suchte nach den passenden Worten. »Ich möchte Euch sagen, dass dies keineswegs Gleichgültigkeit Euch gegenüber ist.«
Trotz seiner Selbstbeherrschung hatte seine Stimme einen Moment geschwankt. Er hoffte nur, dass sein Vater es nicht bemerkt hatte.
»Ist dir wieder ein Rätsel untergekommen?«
»Woher wisst Ihr das?«, platzte Mondino aufs Höchste überrascht heraus.
Rainerio lächelte nicht, aber in seinen Augen blitzte ein Fünkchen Heiterkeit auf. »Muss ich dich an die Geschichte mit den Äpfeln erinnern? Sie ging mir gerade durch den Kopf.«
Mondino erinnerte sich ganz genau an diese Episode, auch weil sie ihm eine kräftige Tracht Riemenhiebe eingebracht hatte. Als kleiner Junge hatte er einmal alle Äpfel vom Baum gestohlen und sie auf dem Dachboden in einer mit Ölpapier ausgelegten Holzkiste versteckt, die er dann mit einem Deckel
zugenagelt hatte. Er hatte gehört, was sein Onkel Liuzzo über das spontane Entstehen von Würmern gesagt hatte und beschlossen, dies zu überprüfen. Sollte er nach zwei oder drei Wochen bei Öffnen der Truhe Würmer in den Äpfeln finden, würde er daran glauben, dass sie von selbst entstanden.
»Das müsst Ihr nicht«, erwiderte er lächelnd. »Ich frage mich noch heute, wie es Euch gelungen ist, mich zu erwischen.«
»Weil ich dich kenne«,
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