Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
mit eigenen Augen sehen können. Der Besitzer des Gasthauses hatte den Vorfall den Mönchen gemeldet, und als wir
ankamen, hat uns die Inquisition nicht hereingelassen. Ich war bereits zu spät für dieses Bankett, deshalb habe ich mich beim Richter entschuldigt und bin gegangen. Anscheinend war der Tote ein Tempelritter, der unter falschem Namen reiste, und die Dominikaner haben die Absicht, diesen Mord als Beweis zu nutzen, dass die Templer satanische Rituale ausüben. Denk dir, sie haben nicht einmal zugelassen, dass man den Leichnam von dort fortschaffte. Sie verlangen, dass Uberto da Rimini ihn vorher zu Gesicht bekommt. Heute Abend wird er aus Argenta von seinem Besuch beim Erzbischof zurückerwartet.«
»Ihr wollt wirklich sagen, dass der Tote noch da liegt?«, fragte Mondino. »Und wie lange wird er dort bleiben?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls steht fest, dass niemand sich traut, in der Abwesenheit des Inquisitors eine Entscheidung zu treffen. Alle scheinen furchtbare Angst zu haben, sie könnten einen Fehler begehen.«
Mondino nickte. Während ihrer kurzen Begegnung war ihm der Inquisitor bestimmt nicht wie jemand vorgekommen, der bereitwillig verzieh. Er wollte gerade noch weitere Fragen stellen, als der Gastgeber um Ruhe bat, damit er das Bankett eröffnen konnte. Inzwischen hatten alle Gäste Platz genommen, und auf den Tafeln dampften schon die Suppenschüsseln mit den Ravioli in Brühe, dem ersten Gang.
Die Dankesrede des frischgebackenen Doktors war angenehm kurz. Dann äußerte der Rektor der Universität der fremden Studenten, an der der neue Doktor studiert hatte, seinerseits einen kurzen Dank, an den sich ein Gebet anschloss, und danach begann das Mahl. Glücklicherweise teilten sich nur je zwei Tischgäste eine Schale und jeder hatte seinen eigenen Löffel, so dass es nicht zu abstoßenden Szenen kam, die Mondino schon bei weniger prunkvollen Banketten erlebt hatte: Die unbedeutenderen Gäste, die oft weder eine Schale noch Besteck bekamen, stürzten sich nicht selten ohne Anstand auf
die gemeinschaftlichen Schüsseln und befleckten sich die Ärmel bis zu den Ellenbogen, wenn sie die Suppe mit ihren zu Kellen geformten Händen tranken.
Die Diener füllten die Schalen mit dampfender Brühe, in der köstliche Ravioli ungefähr von der Größe einer halben Kastanie schwammen, und die Versammlung von würdigen Professoren widmete sich mit der gebührenden Aufmerksamkeit dem Essen. Mondino dagegen überließ die Schale beinahe ganz seinem Onkel, er kostete nur ein wenig Brühe und einige Ravioli. Er wusste nicht, wie er Liuzzo weiter befragen konnte, ohne ihn misstrauisch zu machen, schließlich durfte er ihm nicht entdecken, was er gemeinsam mit Gerardo getan hatte: Der Onkel hätte einen Wutausbruch bekommen.
Dennoch musste etwas geschehen. Wenn in der Stadt eine weitere Leiche aufgetaucht war, die ähnliche Verletzungen aufwies wie die von Angelo da Piczano, musste er sie unbedingt sehen. Vielleicht würde er nützliche Hinweise finden, um den Mörder ausfindig zu machen, bevor die Inquisition ihn gefangen nahm. Sollten die Priester ihn zuerst in ihre Finger bekommen, würde der Mann unter der Folter sicher gestehen, dass er einen anderen Tempelritter auf dieselbe Art und Weise getötet hatte - und dieses Geständnis würde sehr bald zu Gerardos Verhaftung führen. Zurzeit, so hoffte Mondino zumindest, hatte die Stadtverwaltung anderes zu tun, als nach einem Studenten zu suchen, den man verdächtigte, einen Brand gelegt zu haben, bei dem nicht einmal schwerer Schaden entstanden war. Aber wenn es um die Morde an Angelo da Piczano und an dem Deutschen in Santo Stefano ging, würde eine Jagd auf den Täter beginnen, der Gerardo nicht entgehen konnte. Und sobald sie ihn hatten, würden sie auch Mondino verhaften.
Während die Diener die inzwischen leeren Suppenschüsseln wegtrugen und große Platten mit Hasen nach französischer Art brachten, wurde die allgemeine Unterhaltung wieder aufgenommen.
Liuzzo machte nicht einmal Anstalten, sich selbst zu bedienen; er erwartete, dass sein Neffe sie beide versorgte. Mondino fischte drei schöne, mit einer dunklen Soße bedeckte Stücke Fleisch von der Platte, packte sie auf eine dicke Scheibe Brot und legte die auf das Tischtuch zwischen ihnen.
»Mondino, irgendetwas beunruhigt dich doch«, sagte Liuzzo.
Er fügte nichts mehr hinzu, aber offensichtlich erwartete er eine Erklärung.
»Ja, es stimmt, Onkel«, erwiderte Mondino, nahm ein Stück Hase
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