Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
der Frau beschreiben lassen und dann rund um Sancta Hierusalem nach ihm gesucht.
Er umrundete zweimal die Kirchen und erkundete sorgfältig den Platz und die Gassen um San Giovanni in Monte, doch er fand keine Spur von dem Krüppel, den ihm die Frau beschrieben hatte. Er wäre leicht zu erkennen, wusste Gerardo, denn er trug eine übel verschmutzte schwarze Kutte, die früher einmal einem Mönch gehört haben musste, hatte lange Haare und einen langen Bart und stützte sich beim Laufen auf einen Pilgerstab aus Eschenholz.
Gerardo hatte für seine Nachforschungen die Zeit kurz vor dem None-Läuten gewählt, weil dann der Arbeitstag zu Ende ging, die Läden in Kürze schließen würden und jede Menge Volk auf dem Heimweg durch die Straßen strömte. Das war der beste Zeitpunkt für jemanden, der von Almosen lebte.
Im Zweifel, ob er eine falsche Beschreibung bekommen hatte, hielt Gerardo andere Bettler an, bekam von allen jedoch die gleiche Antwort: Der Krüppel stammte aus Ferrara - weshalb sie ihn nur den Ferrareser nannten. Sie hatten ihn seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und nahmen aus diesem Grund an, er sei in seine Vaterstadt zurückgekehrt. Gerardo stellte noch mehr Fragen, und nach und nach brachte er in Erfahrung, dass der Ferrareser genau an dem Tag verschwunden war, an dem man die Leiche des Deutschen gefunden hatte. Ebenso gut konnte er aber auch zufällig an diesem Tag weggegangen sein,
wusste Gerardo - Vagabunden wechselten häufig den Ort. Inzwischen häuften sich die Zufälle jedoch zu sehr, als dass er noch länger an sie glauben wollte.
Wenn der Mann es für nötig gehalten hatte, nach dem Mord zu verschwinden, konnte es wirklich sein, dass er etwas wusste und deswegen kein Risiko eingehen wollte. Er musste ihn also unbedingt finden. Doch Gerardo erschien die Idee unsinnig, sich auf den Weg nach Ferrara zu machen, um einen Bettler zu suchen, dem eine Hand fehlte.
Ein gelähmter Junge, der ungefähr fünfzig Schritt von Remigio Sensis Wechselstube entfernt auf einem mit eisenbeschlagenen Rädern versehenen Brett saß und um Almosen bettelte, hatte ihm als Einziger eine andere Auskunft gegeben. Er gab zu bedenken, dass der Krüppel möglicherweise ja gar nicht weggegangen war, sondern einfach nur krank. In diesem Fall würde er sich vermutlich in dem unterirdischen Gewölbe aufhalten, sagte der Junge.
»Welches Gewölbe?«, fragte Gerardo.
»Für eine Lira zeig ich es Euch«, antwortete der Junge.
»Eine Lira?« Gerardo lachte über diese absurde Forderung. »Scheint dir das nicht ein wenig übertrieben?«
»Überhaupt nicht. Jemand anders, dem ich es gezeigt habe, hat sie mir klaglos gegeben.«
»Wirklich?«, meinte Gerardo lächelnd. »Sag mir seinen Namen, und ich werde dir glauben.«
Das Gesicht des Jungen verfinsterte sich. »Auf keinen Fall. Er hat mir ja gerade deshalb so viel Geld gegeben, damit ich mit niemandem darüber rede.«
»Wie passend«, erwiderte Gerardo, den ihr Gespräch langsam belustigte. »Du kannst nicht sagen, um wen es sich handelt, aber du darfst sagen, wie viel Geld er dir gegeben hat.«
»Ich lüge nicht«, beharrte der Junge. »Was meint Ihr, warum
hat Euch noch niemand von dem unterirdischen Gewölbe erzählt?«
»Weil sie nicht daran gedacht haben, dass der Ferrareser krank sein könnte.«
Der Junge schüttelte ernst den Kopf. Er konnte höchstens elf oder zwölf Jahre alt sein, aber er versuchte, sich wie ein Erwachsener zu verhalten. Der obere Teil seines Körpers war normal ausgebildet, die Beine dagegen nur zwei dürre Stecken, die gekrümmt auf dem fahrbaren Brett lagen.
»Man hat es Euch nicht gesagt, weil es ein Geheimnis der Bettler ist.«
Gerardo ging in die Knie, bis sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem des Jungen war. »Und du bist bereit, mir dieses Geheimnis zu verraten, wo du das Wort, das du einem Unbekannten gegeben hast, so streng hältst. Warum?«
Der Junge sah ihn wütend an. »Weil ich nie jemandem versprochen habe, es nicht zu verraten!« Er stützte sich mit den Händen auf dem Straßenpflaster ab, um das Brett zu drehen und sich zu entfernen. »Wenn es Euch also interessiert zu erfahren, wo das unterirdische Gewölbe ist, kostet das eine Lira.«
Als Gerardo aufstand, sah er, wie Remigio aufrecht hinter seiner Luke saß und ihn von fern beobachtete. Als sein Blick dem des Bankiers begegnete, grüßte der ihn wie gewohnt mit einem Neigen des Kopfes. Gerardo erwiderte den Gruß auf gleiche Weise, dann lief er dem Jungen nach
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