Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
und hielt ihn an der Schulter fest, als er ihn eingeholt hatte. »Ich bin interessiert. Aber ich kann dir nicht so viel bezahlen. Ich habe mir gerade Geld geliehen, weil ich nichts mehr besaß.«
»Das glaube ich Euch nicht. Lasst mich gehen.«
Der Krüppel schien entschlossen zu verschwinden, ohne über den Preis zu verhandeln. Gerardo nutzte die letzte Chance, doch noch ein Geschäft mit dem Jungen zu machen, und griff in seine Börse. Als dieser das Klingeln der Münzen hörte,
hielt er an. Schließlich einigten sie sich auf zehn Soldi, was zwei Wochenlöhnen von vielen ehrlichen Arbeitern entsprach.
»Fünf sofort«, sagte Gerardo und legte ihm die Münzen in die Hand, die so schmutzig und schwielig war, dass sie sich kaum mehr schließen wollte, »und fünf, wenn ich dieses berühmte unterirdische Gewölbe gesehen habe.«
»Der Handel gilt«, sagte der Junge. »Kommt mit.«
Er steckte das Geld in die kleinere der beiden Umhängetaschen über seinem zerrissenen Gewand und stieß seinen Karren mit den Händen vorwärts.
Gerardo kam nicht umhin, ihn zu mögen. Er beschloss, dass er ihm die fünf Soldi, die er ihm bereits gegeben hatte, selbst dann lassen würde, wenn sich das Geheimnis des unterirdischen Gewölbes als Lüge herausstellen sollte.
»Wie heißt du?«, fragte er ihn.
»Bonagrazia, zu Euren Diensten«, erwiderte der Junge ohne sich umzudrehen. »Aber alle nennen mich nur Bonaga.«
Sie verließen den Platz, kamen an dem Wirtshaus vorbei, in dem Wilhelm von Trier getötet worden war, und tauchten in das Labyrinth aus Gassen zwischen Santo Stefano und der Strada Maggiore ein. Bonaga lenkte seinen Karren geübt, doch an einigen Stellen versperrten ihm Trümmerhaufen und Unrat den Weg. Damit sie nicht zu viel Zeit verloren, nahm Gerardo ihn dann auf den Arm, ohne sich um den Schmutzgestank zu kümmern, den der Junge ausströmte, und hob ihn und seinen Karren über die Hindernisse.
Irgendwann blieb der Junge vor den Resten eines eingestürzten Hauses stehen. »Wir sind da«, sagte er. Er fuhr um einen Haufen Steinquader herum, hielt dann jedoch plötzlich an und gab Gerardo ein Zeichen zu schweigen. Aus der größeren Tasche holte er eine zusammengerollte Schleuder, legte einen Stein in das gewölbte Lederstück in der Mitte und steckte einen Finger in den Ring am äußeren Ende einer der beiden
Schnüre. Dann ließ er blitzschnell die Schleuder zweimal über seinem Kopf wirbeln und ließ los. Gerardo war sofort bei ihm. Er hatte die Hand bereits an den Griff seines Dolches gelegt, aber als er das zufriedene Grinsen des Jungen sah, entspannte er sich. Er folgte seinem Blick und entdeckte auf einem Grasfleck zwischen den Trümmern, etwa acht Schritt von ihnen entfernt, eine Amsel mit zerschmettertem Kopf.
»Das ist mein Abendessen«, sagte Bonaga. »Ein echter Glückstreffer.«
»Stimmt. Schließlich war es für einen Treffer gleich beim ersten Mal ziemlich weit.«
Der Junge wirkte gekränkt. »Ich hätte sie auch auf die doppelte Entfernung erwischt. Mit dem Glückstreffer meinte ich eigentlich, dass ich überhaupt eine Amsel gefunden habe. Die Gastwirte schlachten sie in Mengen ab, um sie ihren Gästen geschmort zu servieren. Es gibt fast keine mehr in der Stadt.«
Gerardo ging zu dem toten Vogel, packte ihn am Schwanz und hielt ihn dann dem Jungen hin. Bonaga ließ ihn sofort in der größeren Tasche verschwinden, die zur Hälfte mit Flusskieseln gefüllt zu sein schien. Dann drehte er das Brett so, dass er durch den Eingang, an dem die Tür fehlte, in das Haus fahren konnte. Er schien sich trotz des Halbdunkels gut auszukennen.
»Kommt, hier entlang.«
Aus Vorsicht wartete Gerardo, bis sich seine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, bevor er ihm folgte. In dem eingestürzten Haus herrschte eine seltsame Stille, vielleicht bedingt durch den Umstand, dass der Lärm von den Hauptstraßen diesen abgelegenen Ort nicht erreichte. Sobald Gerardo ihn eingeholt hatte, zeigte Bonaga ihm eine breite Spalte, die unter einer Mauer klaffte.
»Das da ist das unterirdische Gewölbe«, sagte er und hielt die Hand auf, um auch den Rest seines Geldes zu erhalten.
»Einen Moment«, bremste ihn Gerardo. »Du musst mir
noch sagen, was genau dieser Ort ist und warum sich der Mann, den ich suche, deiner Meinung nach dort unten aufhalten soll.«
Der Junge zögerte einen Moment, bevor er etwas sagte, dann flüsterte er: »Dies ist der geheime Zufluchtsort der Bettler. Ich habe gehört, das Gewölbe soll
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