Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Vorwand ausgedacht, um dem Inquisitor zu erklären, warum er in den Fall des Deutschen verwickelt war, und auf seinem Weg zu ihm versuchte er, die Schwachstellen darin zu finden. Sicher hatte der Inquisitor ihn aus diesem Grund zu sich bestellt. Wäre es zum Beispiel um die Unterschlagung von Angelo da Piczanos Leichnam gegangen, hätte man ihn schon längst mit bewaffneten Wachen abholen lassen.
Oder auch nicht, grübelte Mondino, damit es unter seinen Studenten keinen Aufruhr gab. Vielleicht war der Inquisitor so schlau gewesen, ihn dem Schein nach nur zu einer freundschaftlichen Unterredung einzuladen, und sobald er das Kloster betrat, würde er ihn verhaften lassen. Dann würden vielleicht auch Proteste aufflammen, aber da die Verhaftung nicht in aller Öffentlichkeit geschah, würden sie deutlich gemäßigter ausfallen.
So oder so: Mondino wusste, dass seine Lage hoffnungslos war, sollte man Beweise für das finden, was er getan hatte. In diesem Fall konnten ihn auch seine Studenten nicht mehr schützen.
Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als im Falle des Deutschen seine Rolle als Abgesandter der Stadt weiterzuspielen. Die Kirche musste sehr verärgert darüber sein, dass er sich angemaßt hatte, die Leiche vor den Inquisitoren zu untersuchen. Aber warum hatte man dann nicht auf offiziellem Weg protestiert, beim Podestà oder dem Capitano del Popolo? Mondino hatte dieses Gasthaus mit einer offiziellen Genehmigung betreten.
Es hatte keinen Sinn, sich weiter das Hirn zu zermartern. Inzwischen war er angekommen und würde bald wissen, warum man ihn einbestellt hatte. Er lief quer über den Platz, vorbei an den stattlichen Grabmalen von Egidio Foscarari und Rolandino de’ Passaggeri, dem großen Rechtsgelehrten, der selbst Kaiser Friedrich II. die Stirn geboten und sich im Namen der Einwohner Bolognas geweigert hatte, ihm seinen gefangen gehaltenen Sohn Enzo zu übergeben. Auch Mondino wäre gern seiner medizinischen Verdienste wegen einmal so bestattet worden. Vielleicht, dachte er weiter, sollte er sich darauf beschränken, seine Abhandlung zu schreiben, und aufhören, davon zu träumen, jenes Geheimnis zu lüften, wie man Adern in Eisen verwandeln könnte, damit er auf diese Weise
herausfand, wie der Blutkreislauf im menschlichen Körper verlief. Doch nun gab es kein Zurück mehr.
Er klopfte an das Tor des Klosters, stellte sich beim Bruder Pförtner vor und sagte, dass er vom Inquisitor Uberto da Rimini erwartet würde. Der Bruder ließ ihn sofort ein und befahl einem Novizen, ihn zu begleiten.
Mondino lief durch Säle und Gänge, immer dem leisen patschenden Geräusch hinterher, das die nackten Füße des Mönchs auf dem Fußboden machten. Schließlich klopfte der Bruder an eine Tür, und auf eine Antwort hin, die Mondino nicht hören konnte, betrat er das Zimmer und kam fast unverzüglich wieder heraus. Mit einem ehrerbietigen Lächeln trat er zur Seite, ließ Mondino vorbei und schloss die Tür hinter ihm. Mondino stellte sich vor, wie die nackten Füße sich wieder auf dem Gang entfernten, und verspürte den unwiderstehlichen Drang, ihnen zu folgen. In diesem Kloster hatte er bereits jetzt das Gefühl zu ersticken.
Er betrat ein geräumiges Zimmer, das geschmackvoll, aber ohne übermäßigen Luxus eingerichtet war. Ganz hinten saß der Inquisitor Uberto da Rimini an einem Tisch aus Walnussholz, auf den Licht durch ein offenes Fenster fiel. Er schaute mit einem beinahe wohlwollenden Blick von einem Band mit Miniaturen auf.
»Mondino de’ Liuzzi«, sagte er trocken. »Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Vater«, antwortete Mondino. »Ich dachte mir schon, dass Ihr mich sprechen wolltet, und hatte eigentlich selbst vor, Euch heute um eine Unterredung zu bitten. Ihr seid mir mit Eurer Aufforderung knapp zuvorgekommen.«
Der kleine magere Körper des Inquisitors wirkte durch den mächtigen Tisch, hinter dem er saß, und den großen Kodex, in dem er las, noch schmächtiger. »Umso besser«, sagte er, »umso
besser.« Danach verharrte er eine lange Zeit schweigend und starrte dem Arzt in die Augen.
»Warum habt Ihr nach mir geschickt?«, fragte schließlich Mondino.
»Oh«, antwortete der Dominikaner und machte eine weitschweifige Geste, bei der seine fast kindlich kleine Hand aus dem Ärmel seiner weißen Kutte hervorkam. »Es geht um den Mord an diesem deutschen Tempelritter, Wilhelm von Trier. Man hat mir berichtet, dass Ihr die Leiche untersucht
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