Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Morgen zwei Bettler mit einem Hieb auf den Kopf bewusstlos geschlagen und ihnen ihre Beutel für die Almosen und die vor Schmutz starrenden Kleider abgenommen.
Ihre eigenen Gewänder hatten sie in der Unterkunft des Franzosen gelassen und sich noch vor Sonnenuntergang auf den Weg gemacht.
Hugues fiel es nicht schwer, ohne Schuhe herumzulaufen, und er bewegte sich barfuß vollkommen natürlich. Gerardo hingegen kam ohne Schuhe nicht zurecht - er hüpfte und stolperte so unsicher herum, dass sie beschlossen, ihn seine Schuhe tragen zu lassen. Man hatte zwar sicher noch nie einen Bettler mit fast neuen Schuhen gesehen, aber Gerardo hatte sie, bevor sie aufbrachen, noch rasch mit Staub und Fett eingeschmiert. Im Vertrauen darauf, dass es niemand in der Dunkelheit bemerken würde, begaben sie sich auf ihre Mission.
Bevor die beiden Männer den Gang betraten, sahen sie einander noch einmal an. Die Fackel, die Gerardo am Vortag benutzt hatte, war verschwunden. Wahrscheinlich hatte der erste Bettler, der am Abend zurückgekehrt war, sie genommen, um mit ihr die anderen Fackeln entlang des Wegs anzuzünden.
»Hast du alles begriffen?«, fragte Hugues. »Denk daran, dass nur du sprechen kannst, ich bin stumm.«
»Natürlich weiß ich das«, antwortete Gerardo etwas verärgert, da der Franzose ihm diese Frage bereits zum dritten Mal stellte. »Und jetzt versucht bitte, so wenig wie möglich Latein zu sprechen. Jemand könnte uns hören.«
Hugues schien nicht daran gewöhnt, jemand anderem das Kommando zu überlassen, aber in diesem Fall war es unvermeidlich. Er sprach nur Französisch und Latein, daher musste er so tun, als wäre er stumm. Gerardo konnte in der Mundart von Ravenna sprechen, die ihm vertraut war, weil er sie als kleiner Junge von den Dienern bei sich zu Hause gelernt hatte.
Um glaubwürdig zu wirken und die Suche nach dem Ferrareser zu rechtfertigen, hatten Hugues und Gerardo sich eine Geschichte ausgedacht. Gefährlich war das Unterfangen jedoch so oder so. Gerardo hoffte inständig, dass der Bettler
wenigstens etwas Brauchbares zum Tod von Wilhelm von Trier sagen konnte. Er wusste nicht genau, wie er unauffällig darauf zu sprechen kommen konnte, aber das war ein Problem, dem er sich zu gegebener Zeit stellen würde. Erst einmal mussten sie den Saal mit den Wandfresken finden, von dem der Junge gesprochen hatte.
Sie liefen, die Almosenbeutel über der Schulter, den schmalen, erhöhten Weg entlang, Gerardo voraus und dahinter Hugues. Von dem ausgetrockneten Kanal stieg Verwesungsgestank auf; er stammte zweifellos von Überresten, die sich im Laufe vieler Jahre dort angesammelt hatten. Es hingen nur wenige Fackeln an der Wand, in einem Abstand von ungefähr zwanzig oder dreißig Schritten; sie verströmten ein spärliches Licht, das gerade ausreichte, um nicht zu stolpern. Während sie sich ihren Weg durch das Halbdunkel bahnten, überlegte Gerardo, ob der Tunnel, durch den sie schritten, vielleicht gar kein Abwasserkanal war, sondern ein uralter Geheimgang. Wenn man beide Arme ausstreckte, konnte man die Wände berühren. Kurz über ihren Köpfen erhob sich ein Spitzbogengewölbe aus Ziegelsteinen, das trotz seines Alters äußerst robust wirkte.
Nur an einer Stelle, an einer Verbreiterung, wo der Gang nach links abbog, drohte ein Teilstück der Mauer einzustürzen, doch sie wurde von einem Balken zwischen den Wänden abgestützt. Die beiden Tempelritter mussten sich bücken, um unter der Stütze hindurchzutauchen, und kurz darauf erreichten sie einen großen runden Saal, der von kleinen Feuern beleuchtet wurde. Gerardo zählte etwa fünfzehn Leute, doch hinter ihnen im Gang waren bereits die Schritte von anderen Bettlern zu hören. Es musste schon zur Komplet geläutet haben.
»Wir sind da«, flüsterte er.
Hugues nickte stumm.
Der Rauch der Feuer und Fackeln hatte die Wände mit einer
schwärzlichen Schicht bedeckt, unter der man Überreste von Fresken ausmachen konnte, die einst den Raum geschmückt hatten. Der Fußboden war nicht eben, sondern fiel zum Gang hin in einer Reihe flacher Stufen ab. Gerardo war immer mehr davon überzeugt, dass es sich um ein altes römisches Haus oder eine Therme handelte, die unter den nachfolgenden Bauten begraben worden war.
Aber sie waren nicht gekommen, um die Werke antiker Baukunst zu bestaunen, sondern um eine Mission zu erfüllen. Die beiden Tempelritter näherten sich einem der Feuer und begannen, die Leute nach dem Mann aus Ferrara zu fragen.
Der erste
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