Das Geheimnis der Apothekerin
Windmühlenflügel, sein Gang sah sehr seltsam aus.
»Sei vorsichtig, Charlie«, rief Lilly ihm nach. »Pass auf, dass du nicht fällst und dir den Knöchel brichst!«
Die drei Damen setzten sich, in Begleitung von Dr. Graves, gemächlichen Schrittes in Bewegung und betraten den Weg, der in großzügigen Serpentinen den Berg hinaufführte und die Steigung auf diese Weise sehr viel erträglicher machte.
Als Lilly die Frauen lustlos davonwandeln sah, dachte sie plötzlich: Blödsinn!, raffte ihr Kleid zusammen und rannte hinter den Männern her. Rasch hatte sie Charlie überholt und Mr Shuttleworth schon beinahe erreicht, als sie Charlie hinter sich stolpern und aufschreien hörte. Sie blieb stehen und half ihm hoch mit der Absicht, den Rest des Weges neben ihm herzulaufen. Aber er entriss ihr seine Hand und rannte wieder los. Das versetzte ihr einen Stich, obwohl sie wusste, dass sie keinen Grund dazu hatte.
Francis, der den Gipfel als Erster erreicht hatte, rief hinunter: »Kommt schon, ihr Langweiler!«
»Lauf, Charlie, lauf!«, rief Mary ihm vom Weg unten ermutigend nach.
Daraufhin sprintete Lillys Bruder los und erreichte den Gipfel tatsächlich noch vor ihr. Als sie an die flache Felsspalte unmittelbar unter dem Gipfel gelangte, streckte Francis ihr seine Hand entgegen. Ihre Augen begegneten sich. Sie fragte sich, was er sich wohl dabei gedacht hatte, Roderick Marlow herauszufordern. Und sie wunderte sich über die seltsame Mischung aus Triumph, Ärger und noch etwas anderem, die jetzt in seinen Augen stand. Trotzdem nahm sie die Hand, die er ihr bot, und erlaubte ihm, ihr zu helfen. Charlie vollführte einen unbeholfenen Siegestanz. Marlow und Shuttleworth langten an und beugten sich gleichzeitig nach vorn. In völlig identischer Haltung, wie zwei Buchstützen, standen sie da, keuchend, die Hände auf die Knie gestützt. Sie ging langsam zu ihnen hinüber, ebenfalls noch schwer atmend. Es war zu lange her, dass sie gerannt oder geklettert war. Ihr Herz klopfte heftig, ihre Lungen brannten, sie hatte Seitenstechen. Sie fühlte sich … einfach herrlich.
35
Tränen sind oft ein Teleskop, mit dessen Hilfe die
Menschen in den Himmel sehen können.
Henry Ward Beecher
Lilly und Mary überwachten das Ausbreiten der Decken und der mitgebrachten Köstlichkeiten auf dem Walker's Hill.
»Essen Sie mit uns, Mr Briggs?«, fragte Mary den Stallknecht, der ihr half, die Picknickkörbe zu tragen.
»Danke, nein, Ma'am.« Cecil Briggs deutete mit dem Daumen auf die wartenden Pferde. »Mein Platz ist beim Tross.«
»Und meiner ist in der Küche«, sagte Mary sachlich. Lilly empfand einen Stich bei dieser bescheidenen Selbsteinschätzung ihrer Freundin.
»Gehen Sie schon, Miss«, meinte Cecil, »genießen Sie es.«
Um Marys Augen kräuselten sich die Lachfältchen. »Sie hätten doch aber wohl nichts gegen eine Hähnchenkeule und ein Stück Apfelkuchen einzuwenden, oder?«
Er lächelte und tippte verlegen an den Rand seines Huts.
»Nein, das nicht.«
Mrs Tobias, die Köchin der Marlows, hatte sich selbst übertroffen. Das Essen, das sie zubereitet hatte, hätte nach Lillys Einschätzung gut für dreißig Personen gereicht. Ein kalter Roastbeefbraten, vier gebratene Hähnchen, zwei Schinken- und Kalbsragout-Pasteten, zwei Schweinepasteten, Obstsalat in Glasflaschen, ein Korb mit frischen Früchten, Salat, Gurken und der versprochene Hummersalat. Außerdem gab es Käse, Brot, Butter und Marmelade, drei Kannen Tee und einen weiteren Korb mit Ingwerbier, Ale, Limonade und Claret, an dem Roderick Marlow sich häufig und reichlich bediente. Mary hatte einen großen Plumpudding, Hefekuchen mit Zimtrosinen, Apfelkuchen, Windbeutel mit Marmelade und ein Blech mit süßen Brötchen mitgebracht.
Als sie sich satt gegessen hatten, saßen die Damen zimperlich auf weißen Decken, während die Herren es sich mit ausgestreckten Beinen bequem machten.
Francis stöhnte zufrieden. »Ich glaube, ich kann mich nicht mehr bewegen.«
»Ein köstliches Mahl, Miss Mary. Marlow«, lobte Mr Shuttleworth und klopfte sich auf die Knöpfe seiner bequemen Weste.
»Ja«, stimmte Lilly zu, »danken Sie Mrs Tobias in unser aller Namen.«
Marlow nickte und hob sein Glas.
Mr Shuttleworth stellte sein großes Teleskop auf den dreibeinigen Ständer und richtete es nach Süden aus.
Mary beugte sich mit konzentriertem Gesicht vor, während sie ein Auge zusammenkniff, um mit dem anderen durch die Linse zu schauen. Mr Shuttleworth stand dicht
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