Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Fall verlassen
könnte. Und seit sie im Harudengau angekommen waren, schien er bestrebt, sich unsichtbar zu machen.
›Da kommt er mir erst widerspenstig und will die Nase nicht vors Tor strecken, und jetzt vertrödelt sich der verflixte Bursche Gott weiß wo.‹
Verärgert beschloss der Burggraf, dass es höchste Zeit war, seinem Schreiber deutlich zu machen, dass er die Geduld seines Herrn weit über Gebühr strapazierte.
Eine feuerrote Sonne berührte die Wipfel der Bäume, als Bandolf mit Bruder Fridegist, Meister Sigbrecht und Herwald im Schlepptau auf der Hochebene des Mittelbergs eintraf. Aufgeregtes Stimmengewirr, Gelächter und der Duft nach Kräutern und Gebratenem schlugen ihnen entgegen. Jung und Alt aus den Dörfern und Hufen rund um den Buchenfels und Mittelberg hatten sich um den drei Mann hohen Holzstoß versammelt. Doch der fröhliche Lärm verebbte, als der Burggraf mit seinem spärlichen Gefolge den Festplatz betrat. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, als würde er von hundert Blicken durchbohrt. Endlich lösten sich ein alter Mann und eine Bauersfrau im Festtagsstaat aus der Menge und kamen, ein sichtlich widerstrebendes kleines Mädchen vor sich her schiebend, auf ihn zu.
»Seid willkommen, Herr«, murmelte die Bauersfrau mit einer Verbeugung und überreichte dem Burggrafen einen gefüllten Krug. Indem Bandolf sich unbehaglich der feindseligen Blicke bewusst war, rann der Met nur zäh durch seine Kehle, und er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Honigwein nicht unbekömmlich wäre.
Nachdem er den Krug zurückgegeben hatte, trat der Greis vor. Sein hartes Gesicht war von unzähligen Falten durchzogen, und er starrte Bandolf finster an. Ob vom Alter
eingeschränkt oder mit Vorsatz, neigte er nur andeutungsweise sein Haupt, bevor er mürrisch knurrte:
»Wer kein Holz zum Feuer gibt, erreicht das ewig’ Leben nicht.«
Dann stieß er Bandolf einen Holzscheit in die Hand, so rasch, dass der Burggraf ihn beinahe hätte fallen lassen.
Schließlich war das Kind an der Reihe. Das blonde Lockenköpfchen zur Seite geneigt, spähte es vorsichtig, doch offenkundig neugierig an Bandolfs großer, stämmiger Gestalt empor, während es ihm mit weit ausgestrecktem Arm einen schweißfeuchten Kranz entgegenhielt.
»Wie dieser Kranz … möge all … Euer Missgeschick … verbrennen und … in Nichts ver – … zerfallen«, stieß es atemlos hervor.
Bandolf lächelte, und ein erleichtertes Grinsen huschte über das Gesicht des Mädchens. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um über den Kopf der Kleinen zu streichen, doch da wich es ängstlich vor ihm zurück.
›Vermutlich hat man ihm erzählt, ich trüge unsichtbare Hörner und Hufe unter meinen Stiefeln‹, dachte er launig und seufzte.
Nachdem er dem Brauch Genüge getan, sich für die Gaben bedankt und den Versammelten Gottes Segen gewünscht hatte, überhauchte nur noch ein schmaler Streifen Rot den Himmel im Westen. Während es rasch dunkler wurde, schwoll das Stimmengewirr allmählich wieder an.
»Geh und sieh nach, ob du Prosperius irgendwo in der Menge finden kannst«, befahl Bandolf seinem Marschalk. »Wenn er sich im Dorf vertrödelt hat, ist er womöglich mit den Leuten aus Egininkisrod heraufgekommen.«
»Vermutlich hat sich Euer Schreiber dem Trunk ergeben und schläft in einer Dorfgrube seinen Rausch aus«, mutmaßte
Bruder Fridegist, leckte sich über die Lippen und schüttelte missbilligend den Kopf.
›Als würdest du dir Mäßigung auferlegen‹, dachte Bandolf mokant, hatte er den Kaplan doch erst kürzlich dabei ertappt, wie er begehrlich auf Ingilds magere Brüste gestarrt hatte.
Mit einem Schnauben wandte Bandolf sich von ihm ab. »Geh und such mir den Burschen«, wiederholte er seinem Marschalk.
»Scheint mir nicht angeraten, Herr, Euch zu verlassen«, erwiderte Herwald kurz angebunden. Sein hageres Gesicht zeigte keinerlei Regung, doch der starre Blick seiner hellen Augen schien jedermann deutlich machen zu wollen, dass es nicht bekömmlich wäre, dem Burggrafen zu nahe zu kommen.
»Was denn? Glaubst du wirklich, man würde mir ausgerechnet hier ein Messer zwischen die Rippen rammen?«, fragte Bandolf erheitert.
Sein Marschalk zuckte nur mit den Schultern, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
»Na schön, wie du willst.« Bandolf seufzte. »Dann halte wenigstens nach Prosperius Ausschau. Ich habe gute Lust, dem Bengel das Fell über die Ohren zu ziehen.«
Kaum hatte der Burggraf zu Ende
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