Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Ein sturer Mensch. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Novizen zu behalten, dann wird es nicht einfach sein, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Es mag eine Weile dauern, und ob das Unterfangen letztlich mit Erfolg gekrönt sein wird, ist nicht gewiss.«
»Dessen bin ich mir bewusst.« Bandolf lächelte. »Ich werde unterdessen jedoch auch nicht müßig sein.«
»Womöglich wäre es Eurer Sache dienlicher, würdet Ihr nicht allzu eifrig herumstöbern. Je höher die Wellen um diese Angelegenheit schlagen, umso weniger wird Vater Hademar bereit sein, den Kürzeren zu ziehen. Bedenkt das«, sagte Tidread rasch.
Mit argwöhnisch zusammengezogenen Brauen forschte Bandolf in Tidreads Zügen, doch dessen Miene war gleichmütig und verriet ihm nichts.
In Gedanken versunken überquerte Bandolf den Burghof. Beflissenheit und Großmut zählten nicht zu den Eigenschaften,
die er Tidread von Krähenburg zugerechnet hätte – warum also hatte sich der Sachse so rasch bereit erklärt, für einen Mann in die Bresche zu springen, den er für einen Eindringling und Rivalen halten musste? Der Rat, der Burggraf solle sich zurückhalten, hatte vernünftig geklungen, doch das Glitzern in Tidreads Augen, als erheitere ihn ein heimlicher Scherz, wollte Bandolf nicht gefallen.
»Ihr verlasst uns, Burggraf?«, riss ihn eine helle Stimme aus seinen Betrachtungen.
Tidreads junge Gemahlin trat mit einem Mädchen, nur um Weniges jünger als sie selbst, aus einem Durchlass und blieb vor Bandolf stehen.
»Wollt Ihr nicht vorauslaufen und Eure Arbeit am Webstuhl beenden?«, schlug sie dem Mädchen vor. Mit einem Knicks, der dem Burggrafen galt, und einem finsteren Blick auf die junge Burgherrin eilte es davon.
Kopfschüttelnd sah Melisend dem Mädchen nach, und Bandolf hatte Muße, Tidreads Gemahlin näher zu betrachten. Ihre Lippen waren zu voll, das Kinn zu spitz und die hoch angesetzten, über und über mit Sommersprossen gesprenkelten Wangenknochen zu breit, um Melisend von Souburg schön zu nennen, doch der lebhafte Ausdruck in ihren Zügen und das Funkeln ihrer großen grünen Augen machten die Mängel mehr als wett.
»Die Tochter meines Gatten aus erster Ehe«, erklärte sie mit einem tiefen Seufzen.
Noch ehe Bandolf sich den Kopf zerbrechen konnte, was er darauf antworten sollte, hatte Melisend sich zu ihm umgewandt und schenkte ihm ein Lächeln. »Ah!«, sagte sie mit einer flinken Geste. »Euch hat wohl das Geschnäuf meines Vetters aus der Halle vertrieben?«
Unwillkürlich erwiderte Bandolf ihr Lächeln. »Stephan von Blois ist Euer Vetter?«
»Ein Vetter im dritten Grad. Oder gar im vierten?« Flüchtig runzelte sie die Stirn, ehe sich ihr Gesicht wieder erhellte. »Sei es, wie es sei. Nahe genug verwandt, um seine Leiden ertragen zu müssen.«
»Es scheint, als wäre Stephan von Blois tatsächlich in schlechter Verfassung«, bemerkte Bandolf.
In komischer Verzweiflung rollte Melisend die Augen. »Bei seiner Ankunft schmerzte ihn der Kopf, gestern waren es die Säfte in seinem Magen, und heute plagt ihn der Rotz.« Neugierig musterte sie ihn. »Ihr seid nicht gekommen, um meinem Vetter Eure Aufwartung zu machen, nein?«
Überrascht schüttelte Bandolf den Kopf. »Ich hatte eine Angelegenheit mit Eurem Gatten zu bereden. Warum fragt Ihr?«
»Nun, seit Stephan eingetroffen ist, geht es hier zu wie in einem Taubenschlag«, meinte sie mit einem Schulterzucken. »Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.«
Der Burggraf strich nachdenklich über seinen Bart. »Tatsächlich? Und wer kommt und geht?«, erkundigte er sich wie beiläufig.
»Sachsen.« Melisend warf ihm einen raschen Blick zu. »Ah!«, bemerkte sie. »Das wolltet Ihr nicht hören.«
Verdutzt blinzelte Bandolf sie an.
»Es läge Euch eher daran, zu erfahren, in welcher Angelegenheit die Männer kommen«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Ich habe doch recht?«
Bandolf lächelte. »Wisst Ihr es denn?«zu
»Wenn Ihr nicht zu meinem Vetter wolltet, was hattet Ihr dann mit meinem Gatten zu bereden?«, erkundigte sich Melisend, ohne auf seine Frage einzugehen.
›Weibsvolk‹, dachte der Burggraf und unterdrückte ein Seufzen. »Nichts, was Euch Sorgen bereiten müsste«, sagte er laut.
»Ah, nun seid Ihr gönnerhaft«, beschwerte sie sich, zuckte mit den Schultern und wandte sich, augenscheinlich enttäuscht, von ihm ab.
Herrje, hatte er nichts Dringlicheres zu tun, als die Neugierde eines gelangweilten jungen Frauenzimmers zu
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