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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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nicht jeden Schritt in einer Formel festhalten.«
    »Wenn du sorgfältig und fehlerfrei rechnest, hat er keinen Grund sich aufzuregen.«
    »Also wenn ich jetzt 110 mal 2 nehme, ergibt das 220. Die muss ich von 380 abziehen. Bleiben 160 übrig. 160 durch 2 macht dann … 80. Ein Taschentuch kostet also 80 Yen.«
    »Das ist richtig, gut gemacht!«
    Der Professor tätschelte ihm den Kopf, während Root stolz zu ihm aufschaute.
    »Ich werde dir jetzt auch eine Aufgabe stellen«, sagte der Professor. »Darf ich?«
    »Aber wieso …?«
    »Nun mach doch nicht so ein griesgrämiges Gesicht. Wenn wir zusammen lernen, fühle ich mich wie dein Lehrer und möchte dir eben auch einmal eine Aufgabe stellen.«
    »Das ist gemein.«
    »Nur eine ganz kleine Aufgabe. Einverstanden? Welche Summe ergibt sich, wenn du alle Zahlen von 1 bis 10 zusammenzählst?«
    »Aber das ist ja kinderleicht. Das schaffe ich mit links. Unter der Bedingung, dass Sie mir auch einen Gefallen tun. Sie könnten das Radio reparieren lassen.«
    »Das Radio reparieren?«
    »Ja, wenn ich herkomme, will ich wissen, wie es beim Baseball steht. Sie haben keinen Fernseher, und das Radio ist kaputt. Und dabei hat die Finalrunde längst begonnen.«
    »Ah … Baseball …«, sagte der Professor und stieß einen tiefen Seufzer aus, während seine Hand immer noch auf Roots Kopf ruhte.
    »Für welche Mannschaft bist du?«
    »Können Sie das nicht an meiner Mütze erkennen?« fragte Root und setzte sich seine Baseballkappe auf, die er in der Seitentasche des Schulranzens verstaut hatte. »Die Tigers!«
    »Ach, die Tigers …«, murmelte der Professor. »Ich bin ein großer Fan von Enatsu. Yutaka Enatsu, das Ass der Tigers – der beste Pitcher aller Zeiten.«
    »Wirklich? Zum Glück sind Sie kein Anhänger der Giants. Dann müssen Sie aber erst recht das Radio reparieren«, drängte Root den Professor, der gedankenlos vor sich hin murmelte.
    Ich schloss den Deckel des Nähkörbchens, erhob mich vom Bett und sagte: »Es ist Zeit zum Abendessen!«

3
    Ich hatte es endlich geschafft, den Professor dazu zu bewegen, das Haus zu verlassen. Seitdem ich bei ihm arbeitete, war er kein einziges Mal nach draußen gegangen, nicht einmal in seinen eigenen Garten, und ich dachte mir, dass es bestimmt gut für seine Gesundheit sei, ein wenig frische Luft zu schnappen.
    »Heute ist ein wunderbarer Tag.«
    Das war nicht einmal gelogen.
    »Die Sonne scheint so herrlich, dass man ganz tief Luft holen möchte.«
    Der Professor, der in seinem Sessel saß und in ein Buch vertieft war, brummte lustlos vor sich hin.
    »Wir könnten ein bisschen durch den Park schlendern und danach beim Friseur vorbeischauen.«
    »Und wozu soll das gut sein?« fragte der Professor mit missmutigem Blick über den Rand seiner Lesebrille hinweg.
    »Muss man denn immer einen besonderen Grund haben? Im Park blühen gerade die Kirschbäume, und mit einem neuen Haarschnitt fühlt man sich gleich besser.«
    »Ich fühle mich auch so sehr wohl.«
    »Ein Spaziergang könnte Ihren Kreislauf in Schwung bringen, und das hilft bestimmt beim Lösen mathematischer Probleme.«
    »Die Blutzirkulation in den Beinen hat aber nichts mit der im Kopf zu tun.«
    »Mit einem neuen Haarschnitt würden Sie aber noch besser aussehen.«
    »Was für ein Unsinn!«
    Der Professor suchte ständig Ausflüchte, gab aber schließlich nach und klappte sein Buch zu. In einem Schränkchen neben dem Eingang stand ein Paar Lederschuhe, die leicht mit Schimmel bedeckt waren.
    »Sie begleiten mich doch, oder?« Der Professor vergewisserte sich mehrmals, während ich seine Schuhe putzte.
    »Sie müssen beim Haareschneiden unbedingt bei mir bleiben. Bitte gehen Sie nicht zwischendurch wieder nach Hause.«
    »Ja, keine Sorge! Ich bleibe.«
    Sosehr ich mich auch anstrengte, die Schuhe wurden einfach nicht blank.
    Ich fragte mich, was ich mit all den Notizzetteln an seiner Kleidung machen sollte. Wenn er in diesem Aufzug auf die Straße ging, würden ihn die Leute garantiert neugierig anstarren. Ich überlegte also, ob ich ihm vorschlagen sollte, die Zettel abzunehmen, aber da er sich darüber keine Sorgen zu machen schien, ließ ich es dabei bewenden.
    Ohne auch nur ein einziges Mal hoch in den strahlend blauen Himmel zu schauen, einen vorbeilaufenden Hund anzusehen oder die Schaufensterauslagen der Geschäfte, schlurfte der Professor mit hängendem Kopf die Straße entlang und blickte die ganze Zeit stur nach unten. Unser Spaziergang schien ihm keine Freude zu

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