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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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sonst immer zu starren schien, wenn er nachdachte.
    »Als ich in Cambridge forschte, habe ich mich mit der Artin-Vermutung beschäftigt, in der es um kubische Formen mit ganzzahligen Koeffizienten geht. Basierend auf den Überlegungen der sogenannten ›Zirkelmethode‹ habe ich nach kubischen Formen gesucht, die nicht auf die Artin-Vermutung anwendbar sind … Schließlich habe ich einen Beweis aufstellen können, der unter besonderen Bedingungen für einen Typ gilt.«
    Der Professor hob einen abgebrochenen Zweig vom Boden auf und fing an, etwas in den Sand zu zeichnen. Ich wusste zunächst nicht, was es darstellen sollte, da mir die Zeichen absolut fremd waren. Es gab Zahlen, Buchstaben und rätselhafte Symbole, die alle fein säuberlich nebeneinander in einer Zeile standen. Ohne ihre Bedeutung zu kennen, begriff ich immerhin, dass sie einer stringenten Logik gehorchten, zu deren Kern der Professor vorgestoßen war. Es lag eine majestätische Würde darin. Die Nervosität, die ihn vorhin beim Friseur befallen hatte, war nun gänzlich verschwunden. Unermüdlich hinterließ der verdorrte Zweig Spuren im Sand, und bald schon breitete sich zu unseren Füßen das Zahlenmuster wie ein Spitzengewebe aus.
    »Darf ich Ihnen erzählen, was ich entdeckt habe?«
    Unerwartet waren mir die Worte über die Lippen gekommen, nachdem der Professor mit dem Schreiben innegehalten und wir eine Weile schweigend dagesessen hatten. Wahrscheinlich hatte mich die Schönheit dieses Spitzengewebes so berührt, dass auch ich den Wunsch verspürte, daran teilzuhaben. Außerdem war ich mir sicher, dass er meine recht simple Entdeckung mit Respekt aufnehmen würde.
    »Wenn man die Teiler von 28 addiert, ergibt das wieder 28.«
    »Das haben Sie gut erkannt …«, sagte er und schrieb die Summe neben die Gleichung zur Artin-Vermutung:
    28 = 1 + 2 + 4 + 7 + 14
    »Sie ist eine vollkommene Zahl.«
    »Eine vollkommene … Zahl?« wiederholte ich flüsternd, wie um den Klang des Wortes auszukosten.
    »Die 6 ist die kleinste vollkommene Zahl. 6 = 1 + 2 + 3.«
    »Ach so, es ist also nichts Besonderes.«
    »Aber nein, ganz im Gegenteil. Eine derart vollkommene Zahl ist sogar höchst selten. Nach 28 ist 496 die nächste. 496 = 1 + 2 + 4 + 8 + 16 + 31 + 62 + 124 + 248. Die darauffolgende ist dann schon die 8128. Die nächste vollkommene Zahl ist noch weiter entfernt, nämlich die 33.550.336, und dann kommt erst wieder die 8.589.869.056. Je weiter man fortschreitet, umso schwieriger wird es, sie aufzuspüren.«
    Ich staunte, wie mühelos der Professor bis in den Milliardenbereich vordringen konnte.
    »Demzufolge ist die Summe der Teiler bei allen anderen Zahlen, die nicht vollkommen sind, entweder größer oder kleiner als die entsprechende Zahl selbst. Wenn die Summe größer ausfällt als die Zahl, spricht man von
abundanten
Zahlen, wenn sie kleiner ist, heißen sie
defizient
. Das sind treffende Bezeichnungen, finden Sie nicht? Nehmen Sie die 18. Die Summe ihrer Teiler 1 + 2 + 3 + 6 + 9 ergibt 21, sie ist eine abundante Zahl, während die 14 defizient ist: nämlich 1 + 2 + 7 = 10.«
    Ich versuchte mir die 14 und die 18 vorzustellen, aber nachdem ich die Erklärung des Professors vernommen hatte, waren es nicht mehr einfach nur bloße Ziffern. Die 18 trug insgeheim eine schwere Bürde, während die 14 hohle Wangen hatte angesichts ihres schlimmen Makels.
    »Es gibt eine Menge defizienter Zahlen, die nur um 1 größer sind als die Summe ihrer Teiler. Jedoch existiert keine einzige abundante Zahl, bei der das Gegenteil der Fall ist, sie also um 1 kleiner ist als die Summe. Jedenfalls ist bislang noch keine gefunden worden.
    »Und wieso hat man noch keine gefunden?«
    »Der Grund dafür steht allein in Gottes Notizbuch.«
    Alles um uns herum schillerte im sanften Sonnenlicht. Sogar die toten Insekten, die auf dem Wasserspiegel des Springbrunnens trieben, glitzerten wie Juwelen. Als ich bemerkte, dass die wichtigste Notiz in der Zettelsammlung des Professors –
Meine Erinnerung dauert nur achtzig Minuten
– herunterzufallen drohte, machte ich sie wieder fest.
    »Ich verrate Ihnen noch etwas über vollkommene Zahlen«, sagte er und schwenkte erneut den kleinen Zweig, während er seine Beine unter die Bank zog, um im Sand vor uns auf dem Boden mehr Platz zu haben.
    »Sie lassen sich auch als fortlaufende, also konsekutive Reihe von natürlichen Zahlen darstellen.«

    Der Professor musste weit ausholen, um die ellenlange Zahlenfolge zu vollenden. Die Ziffern

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