Das Geheimnis der Eulerschen Formel
840 ist gleich …«
»6239 geteilt durch 23 ist gleich …«
»4,62 plus 2,74 ist gleich …«
»5 plus zwei Siebtel minus 2 plus ein Siebtel ist gleich …«
»Jede Aufgabe hat ihren Rhythmus, so wie ein Musikstück. Wenn du diesen Rhythmus findest, erkennst du das Problem als Ganzes und siehst, wo die Tücken liegen.«
Roots laute, klare Stimme war dann bis in den letzten Winkel des Zimmers zu hören.
»Ich habe zwei Taschentücher und zwei Paar Socken für 380 Yen gekauft. Zwei Taschentücher und fünf Paar Socken kosten 710 Yen. Wie viel kostet dann je ein Taschentuch und ein Paar Socken?«
»Womit müssen wir anfangen?« fragte der Professor.
»Hm, das ist schwierig …«
»Da hast du recht. Von all deinen Hausaufgaben ist diese besonders knifflig. Aber du hast sie gerade gut vorgelesen. Die Aufgabe besteht aus drei Sätzen. Taschentücher und Socken kommen drei Mal vor: soundso viel Taschentücher, soundso viel Socken, soundso viel Yen. Du hast genau den richtigen Rhythmus gefunden. Eine an sich langweilige Aufgabe hat sich angehört wie ein Gedicht.«
Der Professor wurde nicht müde, Root zu loben. Er gab auch nicht auf, wenn einige Zeit verging, ohne dass sie der Lösung einen Schritt näher kamen. Wie ein Goldgräber mühselig das ganze Flussbett durchsiebt, um ein Körnchen Goldstaub zu ergattern, verlor er nie die Geduld, selbst wenn Root in einer Sackgasse steckte.
»Nun, lass uns ein Bild von diesem kleinen Einkaufsbummel malen. Hier hast du zwei Paar Taschentücher und da zwei Paar Socken …«
»He, das sind doch keine Socken. Die sehen ja aus wie zwei dicke Raupen. Lassen Sie lieber mich zeichnen!«
»Aha, so zeichnet man also richtige Socken, ich verstehe …«
»Beim zweiten Mal kauft er genauso viele Taschentücher, aber mehr Socken. Fünf Paar zu zeichnen, macht einen Haufen Arbeit. Meine sehen auch langsam aus wie Raupen.«
»Nein, so schlecht sind die nicht. Du hast übrigens recht: Nur die Anzahl der Socken steigt mit dem Preis. Wir könnten doch mal ausrechnen, wie viel teurer das jetzt ist.«
»Das heißt, man muss 380 Yen von 710 Yen abziehen …«
»Du solltest die Hilfsrechnungen nicht wegradieren, sondern stehen lassen.«
»Ach, sonst rechne ich das immer auf irgendeinem Schmierpapier aus.«
»Aber jede Formel und jede Zahl hat ihre Bedeutung. Deshalb sollte man sie auch mit Respekt behandeln, meinst du nicht?«
Ich saß auf dem Bett und nähte. Immer wenn sich die beiden Roots Hausaufgaben widmeten, erledigte ich meine Aufgaben im Zimmer, um in ihrer Nähe zu bleiben. Ich bügelte Wäsche, versuchte einen Fleck im Teppich zu entfernen oder schnitt Zuckererbsen für das Abendessen. Sobald ich mich in der Küche aufhielt und von nebenan ihr Gelächter hörte, fühlte ich mich irgendwie ausgeschlossen. Wahrscheinlich wollte ich einfach dabei sein, wenn irgendjemand nett zu meinem Sohn war.
Im Arbeitszimmer konnte man den niederprasselnden Regen deutlich hören. Es war, als würde hier der Himmel tiefer hängen. Dank der vielen Gewächse, die das Haus umwucherten, war man vor fremden Blicken sicher, sodass man auch nach Anbruch der Dunkelheit die Vorhänge nicht zuziehen musste. In der dunklen Fensterscheibe spiegelten sich ihre Gesichter. Sie wirkten ganz durchnässt. An solchen Regentagen roch es im Zimmer noch stärker nach Papier.
»Stimmt genau! Jetzt brauchst du nur noch zu dividieren und dann hast du die Lösung.«
»Jetzt wissen wir, dass die Socken 110 Yen kosten.«
»Gut, aber pass auf, wir sind noch nicht am Ziel. Die Taschentücher sehen vielleicht harmlos aus, sie haben es aber faustdick hinter den Ohren.«
»Stimmt … Na ja, wenn die Zahlen kleiner sind, kann man es leichter ausrechnen.«
Der Tisch war ein bisschen zu hoch für Root, der sich ziemlich recken musste. Seinen abgeknabberten Bleistift fest umklammert, beugte er sich über die Aufgabe. Der Professor saß zurückgelehnt mit übereinandergeschlagenen Beinen und strich sich, während er Root beim Rechnen beobachtete, über das unrasierte Kinn. Er wirkte gar nicht mehr wie ein hilfloser alter Mann, auch nicht mehr wie ein weltfremder, etwas schrulliger Gelehrter, sondern wie jemand, der auf einen kleinen Jungen achtgab. Ihre Spiegelbilder näherten sich einander, um zu einer einzigen Silhouette zu verschmelzen. Das Geräusch des kratzenden Bleistifts vermengte sich mit dem prasselnden Regen.
»Kann ich es der Reihe nach in Formeln aufschreiben? Unser Lehrer regt sich immer auf, wenn wir
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