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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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ganze Weile warten müssen.
    Für Root war es das erste Mal, dass er ein Baseballstadion besuchte. Wenn ich mich recht erinnerte, war er eigentlich nur einmal mit seiner Großmutter im Zoo gewesen und hatte noch nie ein Museum oder Kino betreten. Seit seiner Geburt musste ich zusehen, wie wir über die Runden kamen, und hatte mir kostspielige Freizeitvergnügen nie leisten können.
    Als ich neulich die Sammelbilder in der Blechdose entdeckte, kam mir die Idee, dass der Besuch eines Baseballspiels genau das Richtige sein musste für einen alten Mann, der immer nur in der Welt der Zahlen herumgeisterte, und einen Jungen, der seit frühester Kindheit allabendlich darauf wartete, dass seine Mutter von der Arbeit kam.
    Zugegeben, der Preis für die drei Plätze auf der Haupttribüne überstieg meine finanziellen Verhältnisse, zumal mir wegen Roots ärztlicher Versorgung Extrakosten entstanden waren. Doch war es mir die finanzielle Belastung wert, denn vermutlich würde es in Zukunft nicht mehr allzu viele Gelegenheiten geben, dass sich der alte Mann und der kleine Junge gemeinsam bei einem Baseballspiel vergnügten. Außerdem kannte der Professor Baseball ja nur durch seine Karten und aus der Zeitung. Wenn ich ihn nun zu einem richtigen Spiel mitnehmen würde – wenn er die vor Schweiß triefenden, längs gestreiften Trikots sehen würde, einen in der johlenden Zuschauermenge verschwindenden Homerun, den von Spikes aufgewühlten Wurfhügel –, dann wäre das für ihn sicherlich ein Erlebnis. Selbst wenn Enatsu nicht mit von der Partie sein würde.
    Während ich selbst es für eine wundervolle Idee hielt, reagierte Root wider Erwarten sehr reserviert: »Es könnte doch sein, dass der Professor gar nicht will«, nuschelte er. »Er mag es doch gar nicht, unter so vielen Leuten zu sein.«
    Damit hatte er natürlich recht. Wenn ich daran dachte, mit welcher Überredungskunst ich den Professor zum Friseur gebracht hatte … Ein voll besetztes Baseballstadion musste die reinste Folter sein für ihn, der Ruhe über alle Maßen schätzte.
    »Und wie willst du dich mit ihm verabreden? Er kann sich das doch gar nicht merken, wann das Spiel stattfindet.«
    Root bewies wieder einmal einen erstaunlichen Scharfsinn, wenn es um den Professor ging.
    »Tja, wie soll er sich darauf einstellen …«, fragte ich mich nun selbst.
    »Für den Professor kommt doch alles immer überraschend. Im Voraus kann er so gut wie überhaupt nichts planen. Jeder Tag ist für ihn viel anstrengender als für uns. Wenn du aus heiterem Himmel mit diesem Vorschlag kommst, könnte er einen Herzinfarkt bekommen.«
    »Ach, Quatsch! … Ich hab’s! Wir könnten doch eine Eintrittskarte an seinen Anzug heften. Was hältst du davon?«
    »Das nützt garantiert nichts«, erwiderte Root kopfschüttelnd. »Oder hast du jemals erlebt, dass ihm einer der vielen Zettel weiterhilft?«
    »Na ja, immerhin erkennt er mich jeden Morgen mithilfe des Bilds an seinem Ärmel.«
    »Aber bei dieser Kindergartenzeichnung kann man ja nicht einmal unterscheiden, ob das nun ich sein soll oder du.«
    »Er ist eben ein Mathegenie, aber künstlerisch völlig unbegabt.«
    »Es macht mich jedes Mal traurig, wenn ich den Professor sehe, wie er Zettel schreibt und an den Anzug klammert.«
    »Wieso denn?«
    »Na, weil er dabei so einsam wirkt!« erwiderte Root unwirsch.
    Ich nickte schweigend, denn ich wollte ihm nicht widersprechen.
    »Und außerdem gäbe es da noch ein Problem«, fuhr er fort und erhob dabei seinen Zeigefinger. »Keiner der Spieler, die er kennt, ist noch bei den Tigers. Die haben inzwischen alle aufgehört.«
    Damit hatte er allerdings recht. Wenn er die Spieler auf seinen Sammelkarten nicht erleben würde, wäre das für den Professor ebenso verwirrend wie enttäuschend. Sogar das Trikot der Mannschaft hatte sich inzwischen geändert. Ein Baseballstadion war sicher keine Oase des Friedens – wie seine mathematischen Theoreme. Es gab betrunkene Zuschauer, die herumgrölten. Root hatte mit seinen Bedenken absolut recht.
    »Hm, ich verstehe deine Argumente voll und ganz. Aber ich habe die drei Tickets bereits gekauft. Und zwar nicht nur für den Professor, sondern auch für dich. Abgesehen davon, ob er nun mitkommt oder nicht, würde ich gerne wissen, was du möchtest. Hättest du denn keine Lust, das Spiel der Tigers zu sehen?«
    Für einen Moment vermochte er seinen Stolz zu wahren, indem er abweisend zu Boden blickte, doch dann wusste er seine Freude nicht mehr zu

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