Das Geheimnis der Eulerschen Formel
Nerven beruhigen konnte oder ob es einfach nur eine Angewohnheit von ihm war. Und noch weniger verstand ich, wie er derart früh einen Stern erkennen konnte, wenn er nicht einmal wahrnahm, was ich ihm zu essen vorsetzte. Dennoch hatte er mit seinem welken Finger auf einen Punkt am Himmel gezeigt, dem er eine Bedeutung gab, die für jeden anderen unsichtbar blieb.
Roots Wunde verheilte, aber seine schlechte Laune besserte sich kaum. Er war zwar fröhlich wie immer, wenn er in Gesellschaft des Professors war, aber sobald wir allein blieben, wurde er einsilbig. Eines Tages, als sein Verband schon ziemlich schmutzig geworden war, nahm ich vor ihm Platz und senkte reumütig den Kopf: »Verzeih mir. Ich habe einen Fehler begangen. Jetzt schäme ich mich dafür, dass ich dem Professor auch nur einen Moment lang misstraut habe.«
Zuerst dachte ich, er würde mir auch weiterhin die kalte Schulter zeigen, aber stattdessen schaute er mich an und nahm eine aufrechte Haltung ein. Während er den Verband abzuwickeln begann, sagte er mit todernster Miene: »Gut, vertragen wir uns wieder. Aber ich werde niemals den Tag vergessen, an dem ich mich verletzt habe.«
Daraufhin reichten wir uns die Hand.
Es waren zwar bloß zwei Stiche, aber auch als Root größer wurde, blieb die Narbe noch lange Zeit sichtbar. In die Kerbe zwischen Zeige- und Mittelfinger eingraviert, war sie der Beweis dafür, dass der Professor sich an jenem Tag große Sorgen um Root gemacht hatte. Und sie besiegelte Roots Versprechen, den Professor immer in Erinnerung zu behalten.
Eines Tages, als ich die Regale im Arbeitszimmer des Professors aufräumte, entdeckte ich im untersten Fach, vergraben unter Stapeln von Mathematikbüchern, eine Keksdose. Behutsam öffnete ich den rostigen Deckel mit der Befürchtung, verschimmeltes Gebäck vorzufinden, aber stattdessen befanden sich Baseball-Sammelkarten darin.
Es mochten über hundert gewesen sein, die so eng in die vierzig Zentimeter lange Dose hineingestopft waren, dass man Schwierigkeiten hatte, einen Finger dazwischenzustecken, um eine davon herauszufischen.
Anscheinend war es eine ziemlich wertvolle Sammlung. Jedes Exemplar steckte in einem Plastiktütchen, und keine einzige Karte war verkehrt herum eingeordnet, hatte Fingerabdrücke oder Eselsohren. Durch eigenhändig beschriftete Trennblätter waren die Karten nach Gruppen alphabetisch geordnet, je nach Spielerposition. Sämtliche Spieler gehörten zum Team der Hanshin Tigers. Welche Karte man auch herauszog, sie sahen alle aus wie neu. Selbst ein Bibliothekar hätte wahrscheinlich kaum eine solche Ordnung zustande gebracht.
Doch so neuwertig die Karten auch äußerlich erscheinen mochten, der Inhalt bezeugte, dass die jüngsten aus dem Jahr 1975 stammten. Die meisten der Fotos waren noch in Schwarz-Weiß. Einige der Kommentare –
Yoshio Yoshida, der neue Nachwuchsstar
oder
Der Zatopek-Werfer Minoru Maruyama
– sagten mir etwas, aber bei
Der Regenbogen-Zauberball von Tadashi Wakabayashi
oder
Der unschlagbare Sho Masaru Kageura
musste ich passen.
Ein Spieler stach jedoch aus der Masse heraus: Yutaka Enatsu. Er war nicht nach seiner Spielposition einsortiert, sondern besaß eine eigene Rubrik, von den anderen getrennt durch ein Stück Pappkarton. Außerdem waren seine Karten auch nicht wie die anderen in Plastiktütchen verpackt, sondern steckten in robusteren Klarsichthüllen, sodass sie besser geschützt waren. Enatsu posierte in allen möglichen Variationen. Und natürlich zeigten die Bilder nicht den dicklichen Alten, der er heute war, sondern einen schlanken, verwegen aussehenden jungen Mann im Trikot der Hanshin Tigers.
Geboren am 15. Mai 1948 in der Präfektur Nara
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Linkshänder
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Größe: 179 cm
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Gewicht: 90 kg
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1967 nach Abschluss der Osaka Gakuin-Hochschule Aufnahme in die Mannschaft der Hanshin Tigers. Im darauffolgenden Jahr brach er mit 401 Strikeouts den bisherigen Rekord (382) von Sandy Koufax. 1971 gelangen ihm im All-Star-Game in Nishinomiya neun Strikeouts hintereinander. 1973 erzielte er einen No-hitter, die bestmögliche Leistung eines Pitchers in einem Spiel
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Auf der Rückseite einer jeden Karte waren in Miniaturhandschrift Angaben über das jeweilige Bild und die Leistungen Enatsus verzeichnet. Enatsu mit dem Baseballhandschuh auf dem Knie, wie er die Zeichen des Fängers deutet. Enatsu, wie er ausholt, um den Ball zu werfen. Oder wie er als Pitcher einen gegnerischen Schlagmann im Visier hat. Enatsu auf dem Wurfhügel,
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