Das Geheimnis der Götter
Stücke zertrümmert.
Als der Prophet diesen Ort des Friedens schändete, an dem der Große Gott, der Herr des Schweigens ruhte, hatte er die sieben Schutzwälle um den Sarkophag durchbrochen. Von der Mumie, dem Träger der Auferstehung, war nichts mehr übrig.
Der Prophet hatte die Einzelteile des göttlichen Körpers in alle Winde zerstreut, damit sie niemand wieder
zusammenfügen konnte.
Doch eine Hoffnung blieb.
Sesostris hob eine schwere Bodenfliese hoch, unter der eine Treppe verborgen war, die in einen großen unterirdischen Saal führte. Dort wurde die khetemet, die versiegelte Schale, in einem Flammenring aufbewahrt. Sie enthielt das Geheimnis des göttlichen Werkes, die Lymphen des Osiris und die Quelle des Lebens.
Das Feuer brannte noch, aber die Schale war verschwunden. Isis sah, dass ihr Vater zutiefst verstört war. Zum ersten Mal schwankte der Hüne.
»Du darfst mich nicht schonen, ich will alles wissen«, verlangte sie.
»Nur der Prophet kann die ewige Ruhestätte des Osiris so entweiht haben.«
»Seine Mumie…«
»Geöffnet und zerstört.«
»Und die versiegelte Schale?«
»Gestohlen und zerstört.«
»Dann können wir den Tod des Iker nicht auf Osiris übertragen und ihn nicht mit der göttlichen Flüssigkeit beleben.«
Völlig außer sich kam der Kahle angelaufen.
»Der Baum des Lebens ist wieder krank, Majestät! Jemand hat die vier Löwen geraubt, die ihn bewachten, und das Kräftefeld zerstört, das die vier Akazien gebildet haben. Und das heilende Gold glänzt nicht mehr.«
»Was ist mit dem Fetisch von Abydos?«
»Der Pfeiler wurde entfernt, seine Verhüllung zerrissen.«
»Und die Reliquie des Osiris?«
»Sie wurde schrecklich entstellt.«
Der Prophet war also auch nicht davor zurückgeschreckt.
»Müssen wir nicht den Goldenen Kreis zusammenrufen?«, schlug der Kahle vor.
»Das ist unmöglich«, antwortete Sesostris. »Der neue Wesir, Sobek der Beschützer, befürchtet neue Anschläge in Memphis. Um die Widerständischen aus ihren Höhlen zu locken, ließ er die Nachricht verbreiten, General Nesmontu sei bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Der General muss unbedingt dort bleiben und zur rechten Zeit eingreifen. Im Übrigen wird Sehotep beschuldigt, er habe Sobek ermorden wollen; er darf sein Haus nicht verlassen, im Falle einer Verurteilung droht ihm die Todesstrafe.«
»Können wir uns also überhaupt nicht mehr wehren, sind wir ganz und gar verloren?«
»Noch nicht«, beruhigte sie der König. »Als Erstes müssen wir Ikers Schutz verstärken. Der Schreinermeister und die eingeweihten Handwerker sollen die Barke des Osiris ins Haus des Lebens bringen. Anschließend werden Wachen rund um ihn herum aufgestellt, die keinen außer euch beiden und Nephthys einlassen dürfen. Sie erhalten Befehl, jeden ohne Vorwarnung zu überwältigen, der diese Sperre überwinden will. Du«, sagte er, an den Kahlen gewandt, »versuchst herauszufinden, ob es Zeugen für den Mord an Iker und dem Oberkommandierenden der Sicherheitskräfte gibt.«
»Glaubt Ihr nicht, dass die Mörder Abydos längst verlassen haben?«
»Dann müssen wir sie daran hindern zu entkommen!«
»Vielleicht haben sie ja noch nicht alle ihre Ziele erreicht«, äußerte der alte Priester mit unheilvoller Stimme. Der Pharao und die zwei Schwestern legten Ikers Mumie in die Barke. Nur sie allein konnte den wiederhergestellten Osiris verkörpern. Dank der ganz genauen Zusammensetzung ihrer Einzelteile konnte der Herr des Westens alle Gottheiten wieder zusammenrufen.
»Mögest du segeln und rudern«, sagte der König zu Iker,
»dorthin gehen, wohin dein Herz dich führt, von den Großen von Abydos friedlich empfangen werden, an den Ritualen teilnehmen und Osiris auf den reinen Wegen durch das heilige Land folgen.«
»Lebe mit den Sternen«, sagte nun Isis. »Deine Vogelseele gehört zur Gemeinschaft der sechsunddreißig Dekane, in die du dich ganz nach Belieben verwandelst und von ihrem Licht nährst.«
Nephthys goss ein Gärtchen in der Nähe der Barke. Dort würde sich die Vogelseele erquicken, ehe sie sich auf den Weg zur Sonne machte.
Den königlichen Anweisungen gemäß
fertigte der
Obersteinmetz von Abydos eine würfelförmige Statue von Iker an. Sie stellte den Schreiber sitzend dar, die Beine senkrecht vor sich, die Knie fast in gleicher Höhe mit den Schultern. Über dem Oberkörper, der in ein Auferstehungsleintuch gehüllt war, sah man den Kopf – die weit geöffneten Augen blickten ins
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