Das Geheimnis der Goldmine
»Haben Sie noch über etwas anderes gesprochen?«
»Nein. Nein, ich glaube nicht.«
»Und das war also um fünf vor halb sechs, und um fünf vor sechs wurde Mrs Fortescue tot gefunden. Sie haben den Raum in dieser halben Stunde nicht wieder betreten?«
»Nein.«
»Wo waren Sie?«
»Ich habe einen kurzen Spaziergang gemacht.«
»Zum Golf Hotel?«
»Ich – ja, aber Gerald war nicht da.«
»Verstehe«, sagte Inspektor Neele wieder, diesmal in abschließendem Ton. Elaine Fortescue stand auf. »Ist das alles?«
»Das ist alles, danke, Miss Fortescue.«
Als sie sich zum Gehen wandte, stellte Neele wieder beiläufig die Frage: »Sie können mir wohl nichts über diese Amseln sagen, Miss?«
Sie starrte ihn an. »Amseln? Sie meinen die in der Pastete?« Natürlich, sie mussten ja in einer Pastete auftauchen!
»Wann war das?«, fragte er nur.
»Oh! Vor drei oder vier Monaten – und auf Vaters Schreibtisch waren auch welche. Er war außer sich.«
»Außer sich, sagen Sie. Stellte er einen Haufen Fragen?«
»Ja, natürlich – aber wir haben nie herausgefunden, wer es getan hat.«
»Wissen Sie, warum er so wütend war?«
»Nun, das war schon ein scheußlicher Streich, finden Sie nicht?«
Neele sah sie nachdenklich an, aber er fand nichts Ausweichendes in ihrem Blick. »Nur noch eines, Miss Fortescue. Wissen Sie, ob Ihre Stiefmutter zu irgendeinem Zeitpunkt ein Testament aufgesetzt hat?«
»Ich habe keine Ahnung – ja, vermutlich. Das sollte man doch.«
»Man sollte, aber man tut es nicht immer. Haben Sie selber ein Testament, Miss Fortescue?«
»Nein… nein… bis heute hatte ich auch gar nichts zu vererben. Jetzt, natürlich…«
Er konnte geradezu sehen, wie ihr langsam die Tragweite ihrer veränderten Lage bewusst wurde.
»Ja«, sagte er, »fünfzigtausend Pfund sind eine ganz schöne Verantwortung – das ändert einiges, Miss Fortescue.«
Nachdem Elaine Fortescue das Zimmer verlassen hatte, saß Inspektor Neele minutenlang da und starrte vor sich hin. Er hatte ausreichend neuen Stoff zum Nachdenken. Die Aussage von Mary Dove, dass sie um 4 Uhr 35 einen Mann im Garten gesehen hatte, eröffnete ganz neue Möglichkeiten. Natürlich vorausgesetzt, Mary Dove sagte die Wahrheit. Inspektor Neele ging prinzipiell nie davon aus, dass jemand die Wahrheit sagte. Aber wie er ihre Aussage auch drehte und wendete, er konnte sich nicht vorstellen, warum sie in dieser Sache lügen sollte. Daher war er geneigt zu glauben, dass sie wirklich, wie sie behauptete, einen Mann im Garten gesehen hatte. Und es stand fest, dass dieser Mann nicht Lancelot Fortescue sein konnte, obwohl ihre Annahme unter den gegebenen Umständen ganz natürlich war. Es handelte sich also nicht um Lance Fortescue, sondern um einen Mann von ähnlicher Größe und Statur. Und wenn sich zu dieser Zeit ein Mann im Garten befunden hatte, mehr noch, ein Mann, der verstohlen durch die Hecken schlich, dann eröffnete das tatsächlich eine ganz neue Theorie.
Außerdem hatte sie ausgesagt, dass sie jemanden im oberen Stockwerk umhergehen gehört hatte. Das wiederum passte zu einem anderen Detail. Dem Klümpchen Erde, das er auf dem Teppichboden in Adele Fortescues Zimmer gefunden hatte. Inspektor Neele verweilte im Geiste bei ihrem zierlichen pseudo-antiken Schreibtisch. Eine hübsche kleine Kopie mit einem ziemlich offensichtlichen Geheimfach. Drei Briefe hatte er in dem Fach gefunden, Briefe von Vivian Dubois an Adele Fortescue. Wie viele solcher Liebesbriefe waren im Laufe seiner Karriere durch Inspektor Neeles Hände gegangen! Er war mit leidenschaftlichen Briefen vertraut, mit närrischen Briefen, sentimentalen und nörglerischen. Er hatte auch vorsichtige Briefe gelesen und war geneigt, die letzten drei dieser Kategorie zuzuordnen. Selbst wenn man sie vor dem Scheidungsrichter vorlesen würde, könnte man sie immer noch als Ausdruck rein platonischer Freundschaft deuten. Platonisch, schon recht, dachte Neele eher grob. Neele hatte die Briefe sofort zum Scotland Yard geschickt, da zu diesem Zeitpunkt das Hauptproblem darin bestand, den Staatsanwalt zu überzeugen, dass genügend Beweise gegen Adele Fortescue, oder Adele und Vivian zusammen, vorlagen, um eine Verhaftung vorzunehmen. Alles hatte darauf hingewiesen, dass Rex Fortescue von seiner Frau vergiftet worden war – mit oder ohne Hilfe ihres Liebhabers. Diese Briefe wiesen trotz ihrer Zurückhaltung ziemlich eindeutig auf eine Affäre hin. Anstiftung zum Mord hatte Inspektor Neele in
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