Das Geheimnis der Hebamme
Sie konnte den Ausdruck in Lukas’ Augen nicht aus der Erinnerung verbannen, als er sich verabschiedet hatte. Sie wusste, dass er fürchtete, sie nie wiederzusehen. Und ihr war bange, wenn sie sich ausmalte, was ihr alles auf dem Weg nach Landsberg passieren konnte.
Doch am größten war ihre Angst um Christian. Würde er lange genug in Randolfs Kerker überleben? Lebte er überhaupt noch? Es geschah nichts mehr, wenn sie ihre Sinne und Empfindungen auf ihn ausrichtete. Es war nur noch Schwärze.
»He, komm endlich zu dir, du Bastard!« Harte Tritte gegen seinen gequälten Körper weckten Christian aus der Bewusstlosigkeit. Benommen blinzelte er gegen das grelle Licht der Fackel.
»Na endlich, wird ja auch Zeit«, brummte der Heisere. »Hast ganze zwei Tage hier herumgelegen.«
Er setzte den Gefangenen unsanft auf, was Christian maßlose Schmerzen bereitete.
»Hier, iss und trink das!« Der Wachmann drückte ihm einen harten Kanten Brot und einen Krug faulig riechenden Wassers in die Hände, die immer noch in Ketten waren.
»Am besten gleich, ehe es die Ratten wegfressen«, fügte er hinzu, bevor er den Kerker verließ und die Tür verriegelte.
Erst als Christian wieder in vollkommener Dunkelheit war, kamen die Erinnerungen Stück für Stück zurück.
Marthe!
Er hatte keinen Zweifel an dem, was ihm Randolf voll bösartiger Genugtuung gesagt hatte. Warum nur hatte er das nicht geahnt? Warum hatte sie nichts gesagt? Jetzt erst verstand er, weshalb sie den alten Witwer geheiratet hatte, weshalb sie so ängstlich zurückgezuckt war, als er ihre Schulter berührt hatte.
Er fühlte Mitleid, Entsetzen, Verzweiflung. Und Schuld, sie nicht gut genug geschützt zu haben. Doch bald wuchs daraus ein alles andere überwucherndes Gefühl. Er wollte Rache.
Christian vertraute darauf, dass Lukas seinem Befehl gefolgt war und Marthe in Sicherheit gebracht hatte, bevor Randolf sie finden konnte.
Jetzt musste er seine ganze Kraft darauf richten, aus dem Kerker zu entkommen.
Obwohl ihm jede Bewegung Höllenqualen verursachte,setzte er sich mit aller Willenskraft auf. Danach stand ihm der Schweiß auf der Stirn, er bekam kaum noch Luft, ihm war schwindlig und speiübel.
Er atmete langsam und vorsichtig, bis die Benommenheit allmählich nachließ. Trotz seines Durstes trank er das Wasser nur in kleinen Schlucken. Dann zwang er sich, das Brot zu essen, obwohl er kaum kauen und schlucken konnte. Wenn er überleben und fliehen wollte, musste er essen.
Die Anstrengung hatte ihn so sehr erschöpft, dass er sich schweißüberströmt an die kalte, feuchte Kerkerwand lehnte und wieder in einen Dämmerzustand fiel.
Später quälte er sich unter Aufbietung aller Kräfte hoch. Mühsam lief er die zwei Schritte hin und her, die ihm die Fußfesseln erlaubten, und versuchte, wieder Herr seines Körpers zu werden, bis er kraftlos zu Boden sackte.
Dass über seinen verzweifelten Versuchen ein ganzer Tag vergangen sein musste, merkte er erst, als der Wächter zum nächsten Mal Brot und Wasser brachte.
Wenn Randolf nicht bald zurückkommt, kann ich es schaffen, dachte Christian.
Doch Randolf ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Kurz nach dem erneuten Auftauchen des Heiseren kamen zwei Männer und ketteten nun auch noch seine Hände an die Wand, so dass er fast völlig bewegungsunfähig war.
Wenig später tauchte der Hüne auf, in seiner Begleitung ein paar Wachen und ein Mann, der ein Becken mit glühenden Kohlen und mehreren Eisen trug.
Durch die geöffnete Kerkertür hörte Christian von fern den gellenden Schrei einer Frau.
Randolf betrachtete ihn mit unheilvollem Glitzern in den Augen. »Erkennst du die Stimme? Seit dein Liebchen in den starken Händen meiner Wachleute ist, finde ich sie zu unansehnlichfür mich. Lassen wir sie den Wachen, die sollen auch ein wenig Vergnügen haben.«
Christian fühlte sich wie zerrissen. Das ist nicht Marthe, versuchte er sich zu beruhigen. Randolf hätte sich den Triumph nicht entgehen lassen, ihm das vor die Füße zu werfen, was von ihr noch übrig war, hätte er sie wirklich aufspüren können. Aber wenn sie ihm doch in die Hände gefallen war?
Als Randolf bei Christian keine Reaktion entdeckte, winkte er den Mann mit dem Kohlenbecken heran.
»Ich werde dich schon noch das Fürchten lehren, bis du wimmernd vor mir auf dem Boden liegst und um dein Leben bettelst«, drohte er. »Jeden Knochen werde ich dir brechen, jedes Glied einzeln abhacken. Aber lass uns langsam vorgehen.«
Er
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