Das Geheimnis der Hebamme
Hedwig zu gelangen«, sagteMarthe entschlossen. »Josefa, ich muss mich verkleiden. Borgst du mir dafür die Sachen, die du mir einmal gezeigt hast? Du weißt schon …«
Die Alte nickte bedächtig und begann dann, in einem Korb zu kramen, bis sie aus dessen Tiefen ein gut verschnürtes Bündel holte. Sie wickelte es aus und reichte es Marthe: Spielmannskleidung, eine bunte Kappe und eine Flöte. Das waren die einzigen Dinge, die Josefa noch von Christians Vater besaß. Er hatte sie bei ihr gelassen, weil er für seinen letzten und tödlichen Auftrag an einem großen Hof die Laute und prunkvollere Kleidung mitgenommen hatte.
»So habe ich am ehesten Gelegenheit, zu Hedwig zu gelangen«, erklärte Marthe. »Vielleicht kann sie sogar Markgraf Dietrich überzeugen, dass er uns hilft. Er hasst den Löwen.«
Lukas hatte ihr erzählt, dass es zwischen Dietrich und Herzog Heinrich, die eine tiefe Feindschaft verband, nicht nur immer wieder Grenzstreitigkeiten gab, sondern dass Heinrich auch die Slawen zu Überfällen auf Dietrichs östliche Gebiete aufgewiegelt hatte.
»Kommt überhaupt nicht infrage«, beharrte der Knappe.
Josefa sah ihn mit einem unergründlichen Blick an. »Ihr tut besser daran, auf sie zu hören, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat …«, brummte sie.
»Auf keinen Fall!«
»Dann hört auf das, was eine alte Frau zu sagen hat, mein Junge. Die Zeit wird knapp für Christian. Also nehmt jetzt das Geld von Elisabeth und besorgt ein Maultier für Marthe.«
Langsam erhob sich Lukas, während sich auf seinem Gesicht widerstreitende Gefühle spiegelten.
Josefa ging mit ihm zur Tür, legte ihm dort die Hand auf die Schulter und sah ihn ernst an. »Ich weiß genau, was Ihr fühlt.
Aber vertraut mir und vertraut ihr. Wenn ihr zwei jetzt nicht alles wagt, ist nicht nur Christian verloren.«
Lukas nickte und machte sich auf den Weg.
Als er wiederkam, hatte Marthe bereits die Spielmannskleidung angelegt. Die Sachen waren ihr viel zu groß und schlotterten um ihre Glieder, die Kappe lag noch auf dem Tisch.
Während Josefa das Maultier durch die Kate in den Garten führte und ihm dort etwas zu Fressen gab, löste Marthe zögernd das Tuch von ihrem Kopf und entflocht ihren Zopf. Fasziniert starrte Lukas auf ihr hüftlanges kastanienbraunes Haar, bis er begriff, was sie vorhatte.
»Ihr müsst mir das Haar abschneiden«, sagte sie leise und reichte ihm ihr schmales Messer.
»Das kann ich nicht.« Er keuchte entsetzt auf.
»Es geht nicht anders. Sie wachsen wieder nach.«
Sanft ließ er die weichen Strähnen durch seine Finger gleiten. Wie oft hatte er geträumt, das zu tun! Und jetzt sollte er diese Pracht zerstören. Aber anders wäre ihre Verkleidung nicht glaubhaft. Würde er sie retten oder vernichten, wenn er ihr half, sich als Jüngling auszugeben?
Er gab sich einen Ruck und zog sein eigenes Messer. So ebenmäßig es ging, kürzte er ihre Haare auf Kinnlänge. Dann hob er die abgeschnittenen Strähnen auf, band sie zusammen und steckte sie in seinen Beutel.
Marthe setzte sich die Narrenkappe auf. »Wirkt das überzeugend?«, fragte sie Josefa.
»Bis zum Schlafengehen zeige ich dir noch ein paar Tricks«, verkündete die Alte zu Marthes Erleichterung. Zum Singen und für derbe Späße besaß sie wirklich kein Talent. Aber es gab ja auch nur wenige Spielleute, die so gut waren wie Ludmillus.
Dann winkte die Alte Lukas zu sich. »Von Elisabeth habe ich die geplante Reiseroute des Markgrafen erfahren. Ihr könnt ihm leicht folgen. Raimund soll versuchen, wegen der Niederkunft seiner Frau ein paar Tage Urlaub zu bekommen. Seine Ländereien grenzen direkt an die Randolfs. Von dort aus könnt ihr vorgehen – und bis dahin wird Marthe wissen, ob Hedwig helfen kann oder nicht. Das könnte den Ausschlag für das Gelingen geben.«
Sie berieten noch lange die Einzelheiten ihres Vorhabens. Dann verabschiedete sich Lukas schweren Herzens, um sein Nachtquartier bei dem Wirt aufzusuchen. Er machte sich wenig Hoffnung, dass es dort nicht allzu viele Wanzen gab und der Dicke ihm anzügliche Bemerkungen ersparen würde, wenn er ohne Begleitung wiederkam.
Am Morgen würde jeder für sich allein aufbrechen.
Vor dem Heimweg lenkte Lukas seine Schritte in eine Kirche und stiftete die teuerste Kerze, die er sich leisten konnte. Die halbe Nacht kniete er dort und betete, dass Christian noch am Leben war und dass Marthe ihr Wagnis unbeschadet überstand.
Auch Marthe fand in dieser Nacht kaum Schlaf.
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