Das Geheimnis der Hebamme
er gemeinsam mit den anderen Gegnern des Herzogs von Sachsen vor den Kaiser getreten war. Er mochte zehn Jahre jünger sein als Otto, wirkte schlanker und in seinen Bewegungen geschmeidiger. Dies, seine gleichmäßigen Gesichtszüge und sein dunkles, schulterlanges Haar erinnerten sie auf vage Art an Christian. Sie wusste von Susanne, dass Dietrich von der Ostmark viel Zeit am Hof des Kaisers verbracht und ihn auf mehreren Italienfeldzügen begleitet hatte. Er beherrschte das höfische Verhalten mit vollendeter Eleganz, doch hinter den undurchdringlichen Gesichtszügen spürte sie wie bei Christian verborgene Leidenschaft. Sie konnte nur hoffen, dass sein Zorn nicht ihr galt.
»Du behauptest, wichtige Nachrichten für mich zu haben«, sagte er streng. »Doch für wichtige Nachrichten werden nicht junge Weiber in Männerkleidern ausgeschickt. Du weißt, was das Gesetz für solch eine Anmaßung vorsieht.«
Marthe sank noch ein bisschen zusammen.
»Ja, Herr. Bitte, vergebt mir!«
Dann sah sie ihm direkt in die Augen.
»Diese Botschaft ist wichtiger als mein Leben. Ich sah keinen anderen Weg, um sie Euch und der Herrin Hedwig zukommen zu lassen. Wäre ich allein in Frauenkleidern von Meißen hierher gereist, hätte ich Eure Burg wahrscheinlich nie erreicht.«
»Du hast dich allein von Meißen hierher durchgeschlagen?«, fragte der Markgraf erstaunt. »Gab es denn keinen Mann, der mir diese Nachricht hätte überbringen können, wenn sie so wichtig ist?«
»Wichtig und vertraulich«, ergänzte Marthe. Wieder einmal musste sie alles darauf setzen, dass sie ihrem Gegenüber die ganze Geschichte erzählen konnte. Sie hoffte einfach darauf, dass sie ihrem Gefühl vertrauen konnte.
»Ich bin Marthe aus Christiansdorf, eine Wehmutter«, begann sie, doch weiter kam sie gar nicht.
»Marthe?«, fuhr Dietrich dazwischen und beugte sich vor, um sie eingehender zu betrachten. »Die Marthe, die meine Schwägerin vor einem Giftanschlag und meinen Patensohn vor dem Fiebertod bewahrt hat?«
Verwundert, dass er davon wusste, und zugleich erleichtert, atmete sie tief aus. »Ja, Herr.«
»Die Gesichte hat?«
Marthe zögerte zu antworten. Es war erst drei Tage her, dass sie deshalb als Hexe erschlagen werden sollte.
Doch Dietrich wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. »Das verleiht der Sache wohl etwas mehr Gewicht.«
Er wandte sich an den Hauptmann. »Lass die Dame Hedwig eilig hierher bitten – allein. Aber bevor du gehst, befreie das junge Ding da von den Fesseln. Es war richtig von dir, sie zu mir zu bringen.«
Der Mann verneigte sich kurz und tat wie befohlen.
Während sich Marthe verstohlen die Handgelenke rieb, in denen sich das Blut gestaut hatte, musterte Dietrich sie schweigend. Marthe senkte den Blick, doch sie wusste, dass sie einer eingehenden Prüfung unterzogen wurde.
Hedwig kam schnell, begrüßte ihren Schwager höflich und warf einen erstaunten Blick auf den Spielmann, der vor ihm kniete. Dann erkannte sie Marthe. »Bei Gott«, entfuhr ihr, doch sie verstummte sofort.
»Kennt Ihr dieses Mädchen, Schwester?«, fragte Dietrich. Damit wusste Hedwig, dass Marthe in Schwierigkeiten war.
»Ja, und was sie auch getan haben mag – ich bitte Euch, Gnade walten zu lassen. Ich stehe in ihrer Schuld. Sie hat mir und Eurem Patenkind Dietrich mehrfach das Leben gerettet.«
Der Markgraf nickte zufrieden.
»Nehmt an meiner Seite Platz und lasst uns hören, was sie zu berichten hat«, bat er Hedwig.
Auf seinen Befehl hin schilderte Marthe die blutigen Vorkommnisse in Christiansdorf. »Wir haben Beweise, dass Christian unschuldig ist und nicht floh, sondern heimlich auf Randolfs Burg gefangen gehalten wird«, sagte sie. Ihre Zweifel, ob Christian überhaupt noch lebte, behielt sie für sich.
Hedwig und Dietrich reagierten mit düsteren Mienen auf ihre Worte. Doch als sie auf Oda zu sprechen kam, fehlte nicht viel, und Dietrich wäre vor Überraschung aufgesprungen.
»Gibt es Beweise dafür, dass diese Oda eine Spionin des Löwen ist?«, drängte er.
»Bisher nur das Wort des Spielmanns. Aber solche Beweise lassen sich bestimmt finden. Warum sonst hätte jemand Mörder auf ihn ansetzen sollen?«, erwiderte Marthe vorsichtig.
Dietrich bedeutete ihr aufzustehen.
»Dieser Christian, ist das nicht der junge Ritter mit dem wilden Grauschimmel, der aus meinem Patenkind und aus meinem Sohn so ausgezeichnete Reiter gemacht hat? Vertraut ihr ihm?«, wandte sich Dietrich an Hedwig.
»Völlig. Er ist uns treu ergeben und
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